EU-Parlament will Beitrittsgespräche mit Türkei aussetzen

EU/bulgarisch-türkischer Grenzübergang
EU/bulgarisch-türkischer GrenzübergangThe Sofia Globe
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Abgeordnete üben massive Kritik an Demokratieabbau, politischer Verfolgung, Gewalt und "Abwendung von westlichen Werten" unter Präsident Erdogan.

Das Europaparlament hat eine offizielle Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei für den Fall gefordert, dass die heftig umstrittene Verfassungsreform in dem Land umgesetzt wird. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsstaaten müssten dann "unverzüglich" handeln, verlangte das Parlament am Donnerstag in einer Entschließung.

Darin äußerte es harsche Kritik am Demokratieabbau in der Türkei seit dem Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres. Die im Rahmen des Notstands ergriffenen Maßnahmen hätten "unverhältnismäßige und lange anhaltende negative Auswirkungen" für viele Bürger und die Grundrechte.

Die mit großer Mehrheit angenommene Entschließung des Parlaments erinnert unter anderem an die Massenentlassungen und -Inhaftierungen von Beamten, Richtern, Wissenschaftern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten seit dem Putschversuch.

Parteiübergreifender Konsens

Die Abgeordneten stimmten parteiübergreifend für die Aufforderung an die EU-Kommission, die aber rechtlich nicht bindend ist. Die Brüsseler Behörde führt die Verhandlungen mit Ankara.

Besonders besorgt äußerte sich das Parlament über die Lage in dem vorwiegend von Kurden bewohnten Südosten der Türkei. Verschiedenen Berichten zufolge seien aus der Region zwischen Juli 2015 und Dezember 2016 eine halbe Million Menschen vertrieben worden. Etwa 2000 Menschen seien bei Einsätzen der Armee getötet worden.

"Türkei hat sich längst von Europa abgewandt"

Die Türkei habe sich längst von Europa abgewandt, sagte der Vorsitzende der Fraktion der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU). Die Beitrittsgespräche müssten gestoppt und durch einen "neuen Partnerschaftsprozess" ersetzt werden. "Wir müssen fair und ehrlich miteinander umgehen und sollten uns nicht länger gegenseitig zum Narren halten."

Der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff forderte Deutschland und die anderen EU-Staaten auf, das "starke Signal" des Europaparlaments nicht zu ignorieren. Der Dialog mit der Türkei solle nicht abgebrochen, sondern auf eine "ehrliche Grundlage" gestellt werden. Es könne nicht angehen, dass die türkische Regierung "westliche Werte mit Füßen tritt und gleichzeitig Jahr für Jahr EU-Beitrittshilfen kassiert".

"Am besten endgültig abbrechen"

Die Beitrittsverhandlungen sollten sogar endgültig abgebrochen werden, forderte Harald Vilimsky, FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament und FPÖ-Generalsekretär am Donnerstag.

Der für EU-Fragen zuständige türkische Minister Ömer Celik erklärte in Ankara, sein Land weise die Forderung nach einem Aussetzen der Beitrittsverhandlungen zurück. Erdogan hatte indes im Mai selbst damit gedroht, die Gespräche zu beenden, wenn sie nicht wieder in Gang kämen

Die geplante Verfassungsreform, der die Türken am 16. April per Referendum mit knapper Mehrheit zugestimmt haben, soll die Machtbefugnisse des Präsidenten deutlich ausweiten und die Unabhängigkeit der Justiz einschränken. Die Venedig-Kommission des Europarats, der angesehene Verfassungsexperten angehören, sieht darin eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

(dpa)

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