Der erste Tag stand ganz im Zeichen der Apokalypse. Mit John Wray gibt es diesmal auch schon einen Topfavoriten für den Bachmann-Preis.
Auftakt beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Eigentlich ein Untergang. Vier von fünf Texten des ersten Tages tragen apokalyptische Züge. So gesehen gab Franzobels „Klagenfurter Rede zur Literatur“, mit der Mittwochabend das Wettlesen eröffnet wurde, den Takt vor. Der Bachmann-Preisträger von 1995 skizzierte darin eine Welt kurz vor dem Untergang: Dass Geld die Welt regiert, Menschenrechte missachtet werden, die Klimakatastrophe bevorsteht, all das ist nicht das Schlimmste, nein, die Apokalypse nach Franzobel ist, dass selbst literarische Texte vergänglich sind. Schließlich und sehr endlich ist das Klagenfurter Wettlesen ja das Hochamt der deutschsprachigen Literatur.
Religiöse Bezüge ließen sich auch in Karin Peschkas „Wiener Kindl“ ausmachen: Juror Klaus Kastberger fand es gut, den ersten Lesetag mit der Apokalypse anzufangen, „dann hat man's hinter sich“. Was den Text der Linzerin anbelangt, hat Kastberger recht: Die Geschichte ließ das Publikum nicht in der Tristesse einer verwüsteten Stadt zurück, in der wohlstandverloste Hunde in einem kaputten Kaffeehaus Teller ablecken und Familienväter nach toten Fischen angeln, sondern eröffnet eine jesuanische Perspektive der Rettung der Welt durch die Unschuld eines Kindes. Allerdings, so merkte die Hildegard Elisabeth Keller an, steht der Glaube an die Zukunft darin recht verloren da. In seiner stilistischen und sprachlichen Reduktion war Peschkas Text aber sehr überzeugend.
Gleich danach führte der junge Autor Björn Treber die Zuhörerschaft auf den Friedhof in Annabichl seiner Heimatstadt Klagenfurt. Das Begräbnis eines Großvaters konnte man als private Apokalypse interpretieren, auch wenn das Verhältnis des erzählenden Enkels zu dem Altvorderen nicht ungetrübt zu sein schien. Hatte er bei der Schilderung der Szenerie doch einen leicht aggressiven Unterton. Vom Großvater selbst erfuhr man in diesem Text allerdings gar nichts; er beschränkte sich auf eine sehr subjektive Schilderung des Totenbegängnisses. Daran stieß sich die Jury aber nicht, dafür an sprachlichen Unbeholfenheiten und Umständlichkeiten (Hubert Winkels).
Der Untergang Europas strengt an
Nach der Mittagspause ging's apokalypsemäßig so richtig zur Sache: Weltuntergang erste Reihe fußfrei bot die deutsche Autorin Noemi Schneider. Vor den Augen zweier gelangweilter junger Frauen versinkt Europa im Zynismus der Warenwelt. Die junge Münchnerin führte auf literarische Art vor, was Franzobel am Vortag angesprochen hatte. Denkt man etwa an Leif Randts „Schimmernden Dunst über Coby County“ von 2011, so hat man im ORF-Theater dazu aber schon Anregenderes gehört. Das popliterarische Konzept Noemi Schneiders versank in seiner angestrengten Oberflächlichkeit.
Mit dem Erzwingen von Erinnerung verbreitete auch Daniel Goetschs „Inselspaziergang“ Untergangsstimmung. Die vielfach verschachtelte Geschichte hat die Frage zum Hintergrund, wie wir angemessen des Holocausts gedenken. Im Gegensatz zu Katja Petrowskajas Siegertext von 2013 scheitert sie aber an der Form. Ganz anders als der Text eines weiteren Bewerbers, John Wray, Amerikaner mit Austro-Wurzeln. Dessen Erzählung „Madrigal“ war die einzige, die an diesem Tag die Apokalypse unterbrach, stattdessen ein Fest der Literatur abfeierte. Der Autor mit dem Kunstnamen John Wray zieht darin alle literarischen Register. Seine „Kartografie des Amerikanischen“ führte dem staunenden Publikum vor Ohren, wozu Literatur fähig ist. Neojuror Michael Wiederstein war's zuviel: „Super gemacht, aber mir passt's nicht!“, ließ er wissen. John Wray geht trotzdem als Topfavorit in den zweiten Tag.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2017)