Deutschland: Jung stolpert über Altlasten

Deutschland: Franz Josef Jung stolpert über Altlasten
Deutschland: Franz Josef Jung stolpert über Altlasten(c) Reuters (Thomas Peter)
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Der Ex-Verteidigungs-Minister zog die Konsequenzen aus der Afghanistan-Affäre, als Arbeitsministerin übernimmt von der Leyen. Für die neue Regierung ist die Causa vier Wochen nach ihrem Antritt eine Blamage.

Berlin. Zuletzt war der Druck doch zu groß: Franz Josef Jung (CDU), früherer Verteidigungs- und zuletzt Arbeitsminister, hat die Konsequenzen aus der Afghanistan-Affäre gezogen und ist noch am Freitag aus der Regierung ausgeschieden. Er übernehme die Verantwortung für die interne Informationspolitik, erklärte Jung am Nachmittag, räumte aber keine Schuld oder Fehleinschätzung ein. Sprach's und verschwand nach dem kurzen Statement schmallippig von der Bildfläche. Fragen unerwünscht.

Einsatz in Misskredit

Durch die Affäre ist nicht nur Jung von der Vergangenheit eingeholt worden. Sie belastet auch die Zukunft der neuen Regierung und ist eine Blamage für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Nach nur vier Wochen ist das Kabinett seinen ersten Minister los. Zumindest die Personalie wurde schnell gelöst: Bereits am späten Nachmittag verkündete Merkel, dass Ursula von der Leyen ins Arbeitsministerium wechselt. Ihr folgt als Familienministerin die junge Kristina Köhler (32) aus der Hessen-CDU. Die Kanzlerin bezeichnete Jung als einen „immer geradlinigen Kollegen“.

Die Aufklärung der Luftangriffe in Kundus und der damit verbundenen Informationspolitik wird aber länger dauern, der ohnehin unpopuläre Einsatz der Bundeswehr ist noch mehr in Misskredit gebracht. Waren die von Deutschland angeforderten Luftangriffe unverhältnismäßig? Wurde die Wahrheit verschwiegen, vielleicht nicht zum ersten Mal?

Das in der deutschen Bevölkerung verbreitete Missbehagen („Was machen wir eigentlich dort“) hat sich durch den Eindruck, der Minister habe die Lage nicht im Griff gehabt, nun noch verstärkt. 57 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, die Bundeswehr solle sich möglichst schnell aus Afghanistan zurückziehen.

Seit Langem wird darüber debattiert, ob die deutschen Soldaten bei ihrer „Stabilisierungsmission“ in einen „Krieg“ verwickelt seien. Erst der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sprach dazu Klartext.

Das Ausmaß der Vertuschung ist offenbar noch größer als zunächst angenommen. Laut zu Guttenberg sind ihm insgesamt zehn Berichte und Einschätzungen zum Luftangriff auf zwei Tanklaster mit zahlreichen toten Zivilisten vorenthalten worden. Das erklärte er am Freitag nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestags und versicherte, er werde nach Durchsicht der Berichte zu einer Neubewertung der Einschätzung des Bombardements vom 4. September kommen.

Aufklärungsbedarf bleibt

Unmittelbar nach Amtsantritt und Kenntnisnahme des ISAF-Berichts über den Luftschlag hatte zu Guttenberg ihn als „militärisch angemessen“ bezeichnet. Er versprach erneut, größtmögliche Transparenz bei der Aufklärung des Falles herstellen zu wollen. Auch werde er die Geheimhaltung herabstufen, damit das Parlament die Berichte zur Kenntnis nehmen und den Vorgang bewerten könne. Nicht nur zu Guttenberg war zuletzt deutlich auf Distanz zu seinem Vorgänger gegangen. Allgemein schwand in der Unionsfraktion der Rückhalt für Jung nach seiner Erklärung vom Donnerstagabend, die als unzureichend empfunden wurde. Es bestehe weiterer Aufklärungsbedarf, hieß es. Der 60-jährige Hesse, enger Vertrauter des dortigen Ministerpräsidenten Roland Koch, galt im Kabinett Merkel als loyaler Minister. Allerdings agierte er in den vier Jahren als Verteidigungsminister oft glücklos.

Noch am Donnerstag-Abend sah er keine Veranlassung zum Rücktritt, musste die Sache nach eigenen Angaben erst „eine Nacht überschlafen“. Der Schritt fiel ihm dann sichtlich schwer, dürfte zugleich aber auch eine Last von seinen Schultern genommen haben.

Die Opposition aus SPD, Grünen und der Linkspartei hatte geschlossen Jungs Rücktritt und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gefordert. Auch nach seinem Ausscheiden aus der Regierung betrachtet die Opposition diesen Schritt als notwendig. Möglicherweise wird der Verteidigungsausschuss in ein solches Gremium umgewandelt.

Dutzende zivile Opfer

Umstritten ist, wie viele Zivilisten bei der Bombardierung der Tanklaster zu Schaden kamen, und wie früh die Spitze des Verteidigungsministeriums darüber informiert war. Jung hatte zivile Opfer auch dann noch als unwahrscheinlich bezeichnet, als die Militärs in Afghanistan längst Hinweise darauf nach Deutschland gemeldet hatten. Einer Untersuchung der afghanischen Regierung zufolge kamen bei dem Angriff neben 69 Taliban auch 30 Zivilisten ums Leben, die Benzin aus den entführten Tanklastern angezapft hatten.

ZUR PERSON

Ursula van der Leyen (51, CDU) ist seit 2005 Familienministerin. Zuvor war die siebenfache Mutter und Medizinerin von 2003 bis 2005 Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit des Landes Niedersachsen. Am 30. November soll sie als Nachfolgerin von Franz Josef Jung das Arbeitsministerium übernehmen. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28. November 2009)

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