Vor einem Jahr erschütterte ein blutiger Putschversuch die Türkei. Seither überstürzen sich die Ereignisse zwischen Bosporus und Ararat. Die Auswirkungen jener Nacht sind weithin spürbar, Erdoğans AKP gestaltet das Land nach ihrer Façon um.
Es ist eine Frau aus Bronze. Vornübergebeugt, in den Händen ein offenes Buch, sie liest. Als der Bildhauer Metin Yurdanur diese andächtige Leserin gemeißelt und sie den Allgemeinen Menschenrechten gewidmet hatte, war die Türkei gerade dabei, sich endlich von den schmerzlichen Nachwehen des Putsches von 1980 zu erholen.
Drei Jahrzehnte später wieder ein Putschversuch, und er trifft die lesende Frau direkt. Ihr Platz mitten im Gewirr der Ankaraner Einkaufsstraßen ist schwer eingezäunt. Hinter ihr ein großer Polizeiwagen, ebenfalls hinter dichten Gittern, bewaffnete Beamte schieben Wache, sie beobachten den Platz, die Leserin. In Ankara sagt man sich mittlerweile: Die bronzene Frau, die die Menschenrechte repräsentiert, befinde sich in Polizeigewahrsam. Man sagt sich: Das ist der Zustand der Türkei seit dem Putschversuch.