Leitartikel

Ein gezieltes Signal an Erdoğan und die eigenen Wähler

Recep Tayyip Erdoğan
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Ankara reagiert bizarr auf Auftrittsverbote für seine Minister. Aber nicht nur in der Türkei, sondern auch in Österreich spielt dabei Innenpolitik eine Rolle.

Es ist ein langer diplomatischer Kampf, der nun in Österreich in die nächste Runde gegangen ist: eine Auseinandersetzung zwischen der Türkei und vielen EU-Staaten, inklusive der Schweiz. Türkische Spitzenpolitiker wollen zu Veranstaltungen in diese Länder reisen, dort sagt man ihnen aber von oberster Stelle, dass sie nicht willkommen seien. Juristisch steht es jedem Staat frei, offizielle Auftritte politischer Würdenträger eines anderen Staates zu gestatten oder nicht. Und normalerweise war es immer Usus, sich an diese Entscheidungen des anderen Landes zu halten, auch wenn sie einem nicht passen.

In diesem Lichte nahmen die Reaktionen Ankaras auf die Auftrittsverbote – und auch die damit provozierten Gegenreaktionen – bisweilen bizarre Formen an. Etwa, als die türkische Familienministerin, Fatma Betül Sayan Kaya, versuchte, per Auto doch noch in die Niederlande zu gelangen, und dann mit massivem Polizeiaufgebot gestoppt und ausgewiesen wurde. Das ist fast so, als ob jemand von einer Party dezidiert ausgeladen wird (ob ihm das jetzt fair erscheint oder nicht) und dann versucht, über das Fenster doch noch in die Wohnung des Feiernden einzusteigen, weil vorn nicht die Tür geöffnet wird. Mit dem Ergebnis, ertappt und rüde hinauskomplimentiert zu werden.

Bizarr ist auch der Vorwurf, die Auftrittsverbote seien Nazi-Methoden – eine Formulierung, zu der sich der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, im Fall Deutschlands verstiegen hat. Und nur weil ein Vertreter eines Landes in einem anderen Staat keine politische Großveranstaltung abhalten darf, ist noch lang nicht die Meinungsfreiheit in Gefahr. Vor allem dann nicht, wenn die Meinungen und Ideen dieses Politikers dort von seinen Anhängern ja ohnehin in Interviews und Talkshows vor einem großen Publikum offen dargelegt werden dürfen.

Wenn solche Vorwürfe zudem ausgerechnet von der derzeitigen türkischen Regierung kommen, ist das mehr als eigenartig. Denn diese Regierung geht zu Hause massiv gegen unliebsame Medien, Organisationen wie Amnesty International und Oppositionsabgeordnete vor. Ja, die Türkei ist mit Terroranschlägen in Großstädten, einem blutigen Putschversuch und einem Untergrundkrieg im Osten des Landes konfrontiert. Doch der Vorwurf, mit Terroristen unter einer Decke zu stecken, wird mittlerweile großflächig missbraucht, um Menschen mundtot zu machen.

All das heißt aber nicht, dass bei Veranstaltungsverboten für türkische Regierungspolitiker nicht tatsächlich oft mit anderen Maßstäben gemessen wird. Erdoğan-Anhänger kritisieren, dass Vertretern der türkischen Opposition sehr wohl Auftritte in Österreich erlaubt worden seien. Und in der Vergangenheit haben sich auch Politiker anderer Länder bei Besuchen an ihre Diaspora in Österreich gewandt – etwa vor der Präsidentenwahl in Serbien im April.

Warum Österreich, Deutschland, die Niederlande und andere europäische Staaten ausgerechnet Regierungsvertreter der Türkei nicht auftreten lassen, hat politische Gründe. Das ist Teil der Auseinandersetzung mit Erdoğan und seinem autoritären Kurs. Damit wird Unmut darüber ausgedrückt, in welche Richtung die Türkei kippt – und darüber, dass dafür auch noch in EU-Ländern Wahlwerbung gemacht werden soll.

Bei der Austragung dieser Auseinandersetzung geht es aber auf beiden Seiten nicht nur um Außen-, sondern auch um Innenpolitik. Und das wirkt konfliktverschärfend. Auftrittswünsche aus Ankara waren auch gezielte Provokationen, um mit der Empörung über negative Antworten aus Berlin oder Wien in der Türkei die Reihen zu schließen. Dass dieser Konflikt der türkischen Community in EU-Staaten (von der sich auch ein Teil dafür instrumentalisieren lässt) nicht hilft, wird in Ankara offenbar als Kollateralschaden hingenommen. Und österreichische Politiker wissen, dass sie mit harten Sprüchen und Signalen in Richtung Türkei – und türkeistämmiger Menschen in Österreich – immer punkten können. Das fügt sich in einen Wahlkampf, in dem man in Kauf nimmt, etwa mit Drohgebärden am Brenner sogar EU-Partner wie Italien zu verärgern.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2017)

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