Hysterie oder Schönreden - das kann doch nicht alles gewesen sein

Wo ist eine Politik, die Fehlentwicklungen weder leugnet noch die vorhandenen Probleme mutwillig eskaliert? In Österreich jedenfalls sucht man sie vergeblich.

Oh ja, es gibt Probleme auf der Welt. Kleinere und größere, komplexe und banale. Und selbstverständlich gibt es auch Probleme in Österreich – zwar weniger existenzielle als in den 97 Prozent ärmeren Ländern dieser Welt, aber doch. Die entscheidende Frage ist: Wie geht Politik mit Problemen um? Grob gesprochen, gibt es drei Strategien:
• Methode eins ist: Sie ignorieren und schönreden. Dafür sind besonders jene politischen Akteure anfällig, die schon länger an der Macht sind. Logischerweise tragen sie deswegen für Fehlentwicklungen Verantwortung – und sehen ungern der Tatsache ins Auge, dass sie in ihrem Verantwortungsbereich etwas übersehen oder falsch gemacht haben könnten.

Das Aufdecken einzelner Fehlentwicklungen halten diese Akteure ganz schwer aus. Zwischentöne interessieren sie nicht. Wissenschaft ist okay, solange sie der guten Sache dient. Jede Kritik, und sei sie auch noch so sachlich, verstehen sie hingegen als Majestätsbeleidigung und als perfiden Versuch, ihre Legitimität zu untergraben. Und das darf nie und nimmer passieren – denn diese Akteure sind fest davon überzeugt, dass sie allein wissen, was für alle das Beste ist. Probleme sollen daher immer nur intern kommuniziert und rasch begraben werden.

Falls doch etwas publik wird, hilft nur: Die Kritiker schlechtmachen und behaupten, sie hätten unlautere Motive. Sonst tut man, als habe man alles im Griff, und schaltet notfalls noch ein paar großflächige Wohlfühlanzeigen in geneigten Massenblättern dazu.
• Methode zwei ist: Die Probleme kräftig schüren und Öl ins Feuer gießen. Sich dran freuen, wenn sie eskalieren. Und hoffen, dass man persönlich möglichst viel politisches Kapital daraus schlagen kann – egal, was auf dem Weg dabei kaputtgeht. Diese Strategie wird üblicherweise von jenen angewandt, die in Radikalopposition sind. Denn jede Fehlentwicklung, die man anprangern kann, beweist ja irgendein Versagen der derzeit Regierenden. In Österreich allerdings wenden diese Strategie interessanterweise auch Akteure an, die selbst seit Jahren an der Macht sind. Fällt ihnen ein Problem auf, versuchen sie nicht etwa, eine Lösung zu finden, Verbündete zu suchen, und mitanzupacken, damit es ein bisschen besser wird.

Im Gegenteil: Sie tun alles, damit es noch schlimmer ausschaut als es womöglich ist – denn damit wächst der persönliche Vorteil, den sie sich ausrechnen.

Wissenschaft dient dieser Strategie ausschließlich als Unterfutter für Alarmismus. Fakten und Zwischentöne interessieren sie nicht. Wer ihre Hysterie nicht teilt, dem wird wahlweise Dummheit oder Naivität unterstellt. Je aufgeheizter die politische Debatte, je irrationaler die Ängste rundum, desto besser. Nur so, meinen diese Akteure, kann man Wahlen gewinnen. Und die verbrannte Erde, die man dabei hinterlässt, die vergiftete Atmosphäre? Egal. Darum kann man sich später kümmern.
• In der Theorie müsste es allerdings auch noch eine dritte Art geben, mit Problemen umzugehen. In etwa ginge das so:

Zunächst einmal tritt man dem Problem unvoreingenommen gegenüber, formuliert klar, worum es geht. Dann versucht man, möglichst gut abgesicherte Daten heranzuschaffen, um sich ein objektives Bild zu machen. Dann setzt man sich mit den Betroffenen zusammen; versucht, gemeinsame Ziele zu definieren; und jenseits aller weltanschaulichen Grenzen Verbündete zu finden. Man versucht, Expertise zu heben, die bisher im Verborgenen schlummerte, man schaut sich Best-Practice-Modelle in vergleichbaren Ländern an, von denen man vielleicht etwas lernen kann.

Dann versucht man, das Problem von verschiedenen Seiten her anzugehen – und freut sich am Ende gemeinsam, wenn man einer Lösung vielleicht ein, zwei Schritte näher gekommen ist. Angeblich gibt es diese dritte Art, Politik zu machen, irgendwo. In Österreich allerdings werden wir in nächster Zeit kaum damit rechnen können.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2017)

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