Wie lange geht das noch gut? Eine Frage zu unserem Wohlstand

(c) Clemens Fabry
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Wir gehören zu den lebenswertesten Ländern, heißt es in einer Studie. Leider verschweigt sie, wie lange wir uns diesen Lebenswandel noch leisten können.

Wie komm denn ich dazu? Es zahlt sich eh net aus. Tun S' Ihnen nichts an!“ Mit diesen drei Sätzen hat Karl Kraus dieses Land vor mehr als hundert Jahren charakterisiert. Klingt ziemlich aktuell, wenn man sich ein wenig umschaut. Dabei haben die Österreicher angeblich keinen Grund zu klagen. Das war auch in dieser Zeitung zu lesen. Laut einer Studie der Boston Consulting Group liegt dieses Land im Wohlstandsindex auf Rang vier. Nur in Norwegen, in der Schweiz und in den Niederlanden ist es noch lebenswerter. Wir haben wenig Armut, kaum Kriminalität, in puncto Arbeitslosigkeit sind wir zwar nicht mehr die Besten, aber immerhin im guten oberen Drittel. Unsere Unternehmen schaffen von Jahr zu Jahr mehr Arbeitsplätze, und wir leben immer gesünder und länger. Das ist doch nicht nichts, oder?

Dennoch haben wir ein ungutes Gefühl dabei. Vielleicht deshalb, weil wir unser Glück allmählich nicht mehr fassen können. Kaum ein Land bürdet seinen Bürgern so hohe Steuern auf wie Österreich, nirgendwo gehen die Menschen so früh in Pension, kaum ein europäischer Staat hat gemessen an der Einwohnerzahl so viele Flüchtlinge und Migranten zu versorgen. Bürokratie, wohin man schaut. Und was die Verschuldung des Staates betrifft, orientieren wir uns nicht mehr an Ländern wie Deutschland, sondern vielmehr an Italien, Frankreich und Co. Mit anderen Worten: Es geht längst nicht mehr darum, ob es uns gut geht. Die Frage lautet: Wie lange geht das alles noch gut?

Nehmen wir also den ersten Satz der Karl Kraus'schen Österreich-Reflexion: „Wie komm denn ich dazu?“, fragt sich dieser Tage der Postbus-Zentralbetriebsratschef, Robert Wurm. Er echauffiert sich darüber, dass das Land Oberösterreich bei der Ausschreibung nicht automatisch den ÖBB-Postbus versorgt hat, sondern sich für ein günstigeres Privatunternehmen entschieden hat. „Es wird beinhart bewertet, wer der Billigste ist“, tobte Wurm. Dabei zahlt die Chose ja ohnehin der Staat. Da kann's dann ruhig ein bisschen mehr sein, oder? Und dass die 31 ÖBB-Bediensteten im Mühlviertel jetzt zur nächsten Postbus-Stelle nach Linz pendeln müssen, das löst beim Betriebsratschef ein „ungutes Gefühl“ aus. Ist ja nicht zumutbar, dass Autobuschauffeure 44 Kilometer nach Linz pendeln, oder?

Übrigens: Mein Kollege Josef Urschitz hat sich vergangene Woche bereits damit beschäftigt, wie sich die Sozialpartner mit Zähnen und Klauen gegen Wettbewerb und Ausschreibungen wehren. Sein Kommentar hat ihm sogar einen offenen Brief der Sozialpartner im Eisenbahnbereich eingebracht. „Wettbewerb ist kein Patentrezept“, betonen sie am Dienstag, also vier Tage nachdem der Kommentar online erschienen ist. Bei so einer Reaktionsgeschwindigkeit darf sich wirklich keiner mehr wundern, dass bei der Arbeitszeitflexibilisierung nichts weitergeht.

Wir kommen zu Satz zwei: „Es zahlt sich eh net aus.“ Er geht beispielsweise Menschen durch den Kopf, die zwar schon in Pension gehen könnten, aber nicht wollen. Ja, auch das soll es geben. Wir gehen um drei Jahre früher in Pension als die Deutschen, gar fünf Jahre früher als die Schweden, sehen aber offenbar keinen Grund, das zu ändern. Unser Pensionssystem verschlingt 15 Prozent des BIPs – damit sind wir europaweit an drittletzter Stelle. Wer den Faktor Arbeit so hoch besteuert, darf sich auch nicht wundern, wenn es Jungpensionisten und immer mehr ältere Langzeitarbeitslose gibt. Statt sie steuerlich zu entlasten, stecken wir sie in Arbeitsprogramme wie die „Aktion 20.000“ und schaffen so neue Staatsjobs in den Kommunen. Wir blähen den Staatsapparat wieder künstlich auf und fordern anschließend Steuergerechtigkeit. Wie lange noch? Bis der letzte Investor sagt: „Zahlt sich in diesem Land nicht aus.“


Wie lange geht das alles noch gut?“, lautet die Frage, die wir uns stellen sollten und auf die wir rasch eine Antwort finden müssen. Sieht leider ganz danach aus, als würden wir – nach Karl Kraus – unangenehme Fragen wie eh und je mit dem Satz beantworten, welcher da lautet: „Tun S' Ihnen nix an!“

E-Mails an:gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2017)

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