EU verliert Geduld mit London

Der Ton zwischen Brüssel und London (im Bild Chefverhandler Michel Barnier) verschärft sich.
Der Ton zwischen Brüssel und London (im Bild Chefverhandler Michel Barnier) verschärft sich.(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Brexit. Chefverhandler Barnier schließt ein Aufschieben strittiger Punkte aus und stellt die Vertrauenswürdigkeit der britischen Regierung in Frage.

Brüssel. Die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union laufen derzeit angesichts tiefer inhaltlicher Unterschiede und einer sich stark verschlechternden Vertrauensbasis auf ein Scheitern hinaus. „Wie baut man eine langfristige Beziehung in Fragen des Handels und der Sicherheit mit einem Land auf, in das man kein Vertrauen hat?“, warnte Michel Barnier, der europäische Chefverhandler, am Mittwoch vor Journalisten.

Der frühere französische Außenminister und EU-Kommissar spielte damit auf den Unwillen der konservativen Regierung an, wenigstens dem Prinzip nach anzuerkennen, dass Großbritannien auch nach dem Austrittsdatum des 29. März 2019 finanzielle Verpflichtungen von derzeit offener Höhe haben werde. „Tausende Programme, Tausende Verpflichtungen machen dieses Verhältnis aus. Was passiert mit denen? Darüber möchte ich reden“, sagte Barnier.

Boris Johnson ohne Plan B

Kommende Woche findet in Brüssel die zweite Verhandlungsrunde zwischen Barniers Equipe und der britischen Mannschaft rund um Brexit-Staatssekretär David Davis statt. Barnier hat Papiere zu neun inhaltlichen Positionen der Union veröffentlicht. Die Antworten aus London seien entweder unbefriedigend oder schlicht nicht vorhanden: „Wir müssen jetzt die Positionen des Vereinten Königreichs zu allen neun Punkten wissen. Wir müssen wissen, in welchen Punkten wir übereinstimmen und in welchen nicht, damit wir richtig zu verhandeln beginnen können.“

Drei Themen entzweien Brüssel und London besonders stark. Erstens die erwähnten fortgesetzten britischen Zahlungen ins Unionsbudget, die sich unter anderem daraus ergeben, dass der laufende mehrjährige Finanzrahmen erst 2020 endet, dass britische Unionsbeamte Pensionen beziehen werden und dass Großbritannien weiterhin an mehrjährigen EU-Projekten teilnehmen wird, die vor dem Austrittsdatum begonnen wurden. Der britische Außenminister Boris Johnson hatte am Dienstag im Parlament in London gehöhnt, die EU können hinsichtlich ihrer „erpresserischen“ Geldforderung „pfeifen gehen.“ Darauf angesprochen sagte Barnier: „Ich höre kein Pfeifen. Ich höre nur die Uhr ticken.“ Er wies auch Johnsons Darstellung, die EU wolle die Briten erpressen, zurück: „Das ist kein Lösegeld. Wir verlangen vom Vereinten Königreich keinen einzigen Euro, kein einziges Pfund mehr, als das, wozu es sich verpflichtet hat.“

Johnson hatte am Dienstag auch gesagt, seine Regierung habe keine Vorkehrungen dafür getroffen, wenn die Verhandlungen scheitern: „Es gibt keinen Plan dafür, wenn es keinen Deal gibt, denn wir werden einen großartigen Deal bekommen.“ In den britischen Medien kursieren Gerüchte, Premierministerin Theresa May spiele mit dem Gedanken, die Gespräche im September abzubrechen, um Stärke zu demonstrieren.

Heißes Eisen irisch–nordirische Grenze

Der zweite essentielle Streitpunkt betrifft die Rechte der Unionsbürger in Großbritannien beziehungsweise der Briten in der Union. Barnier besteht darauf, dass sie gegenseitig gleichgestellt werden und die gleichen Rechte genießen. „Worum geht es nächste Woche? Darum, sicherzustellen, dass die Bürger ihr Leben wie heute fortsetzen können“, sagte Barnier. „Da gibt es beträchtliche Unterschiede. Die britische Position erlaubt derzeit diese Gegenseitigkeit nicht, beispielsweise beim Familiennachzug. Wir wollen, dass der Gerichtshof der EU Garant dieser Rechte ist.“

Drittens ist unklar, was mit der rund 500 Kilometer langen, derzeitigen Binnengrenze zwischen Irland und Nordirland geschehen soll. In London wird spekuliert, man könne sich dieses heikle Thema für den Schluss aufheben, um derweilen in den anderen Punkten voranzuschreiten. Davon hält Barnier nichts: „Diese drei vorrangigen Themen der ersten Verhandlungsphase sind untrennbar. Fortschritt in einem oder anderen wären nicht ausreichend, um zur Diskussion über unser künftiges Verhältnis mit dem Vereinten Königreich überzugehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2017)

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