Während Regierungschef Yildirim von einem siegreichem "zweiten Unabhängigkeitskrieg" spricht, kritisiert die Opposition die mangelnde Aufarbeitung.
In der Türkei ist am Samstag mit verschiedenen Feierlichkeiten an den Putschversuch vor einem Jahr erinnert worden. Regierungschef Binali Yildirim sagte vor dem Parlament in Ankara, die Türkei habe am 15. Juli 2016 einen "zweiten Unabhängigkeitskrieg" gewonnen. "Es ist ein Jahr her, dass aus der dunkelsten Nacht die Nacht der Helden wurde", sagte er.
Yildirim bezog sich mit seiner Ansprache auf den Krieg nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs, aus dem unter Führung von Mustafa Kemal Atatürk 1923 die Türkische Republik hervorgegangen war.
Opfermahnmal auf Bosporus-Brücke
Zum Jahrestag sind landesweit Gedenkveranstaltungen geplant. In der Nacht eröffnet Präsident Recep Tayyip Erdogan an einer Bosporus-Brücke in Istanbul ein Denkmal für die 249 Opfer des Putschversuchs. Kurz nach Mitternacht sind die Türken aufgerufen, zu "Demokratiewachen" auf die Straße zu kommen.
Am Abend des 15. Juli 2016 hatte eine Gruppe Militärs versucht, die Macht in der Türkei an sich zu reißen. Sie besetzten Straßen und Brücken und bombardierten das Parlament und den Präsidentenpalast, doch scheiterte der Umsturzversuch am Widerstand der Bevölkerung. Dass der Putsch vereitelt wurde, wertet die türkische Regierung als einen historischen Sieg der Demokratie.
Kilicdaroglu: "Justiz wurde zerstört"
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kritisierte dagegen die Regierung scharf. "Die Justiz wurde zerstört", sagte Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, am Samstag bei der Sondersitzung des Parlaments. "Statt einer schnellen Normalisierung haben sie einen bleibenden Ausnahmezustand erschaffen." Diejenigen, die die Putschisten und Unterstützer "an den empfindlichsten Stellen des Staates" platziert hätten, müssten zur Rechenschaft gezogen werden, ansonsten könne man nicht von einer wahren Aufarbeitung sprechen, sagte der CHP-Chef weiter mit Blick auf die Regierung.
Die türkische Führung macht die Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch verantwortlich. Bis zum offenen Bruch 2013 waren Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Gülen lange Zeit enge Weggefährten.
Seit dem gescheiterten Putsch geht die türkische Führung hart gegen vermeintliche Gülen-Anhänger vor. Rund 150.000 Staatsbedienstete wurden per Notstandsdekret entlassen oder suspendiert; mehr als 50.000 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft.
(APA/AFP/dpa)