Erdogans Kampfansage ein Jahr nach dem Putsch

Tayyip Erdogan
Tayyip Erdogan(c) REUTERS (HANDOUT)
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Der türkische Staatspräsident kündigt eine weitere Jagd nach den "Verrätern" an. Er rechnet mit der Wiedereinführung der Todesstrafe, Kritik aus der EU würde ihn nicht abhalten.

Ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei rechnet Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach eigenem Bekunden mit der Wiedereinführung der Todesstrafe in seinem Land. Bei einer Ansprache vor dem Parlament in Ankara am frühen Sonntagmorgen betonte Erdogan, Kritik aus der EU würde ihn nicht davon abhalten, ein entsprechendes Gesetz zu unterzeichnen.

"Wenn es ins Parlament kommt - und ich glaube daran, dass es vom Parlament verabschiedet wird - und wenn es vom Parlament verabschiedet wird und zu mir kommt, werde ich das ohne Zögern bewilligen", sagte er vor jubelnden Anhängern. Erdogan fügte hinzu: "Und ich persönlich achte nicht darauf, was Hans und George dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan, Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen."

Mit "Hans und George" spielt Erdogan auf EU-Staaten wie Deutschland und Großbritannien an. Die EU hat deutlich gemacht, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe das Ende des Beitrittsprozesses bedeuten würde. Vor dem Parlament forderten Anhänger Erdogans in Sprechchören die Todesstrafe, für deren Wiedereinführung eine Verfassungsänderung notwendig wäre.

"Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen"

Erdogan machte erneut den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und kündigte ein unnachgiebiges Vorgehen an. "Sowohl die elenden Putschisten als auch jene, die sie auf uns gehetzt haben, werden von nun an keine Ruhe mehr finden." Kurz zuvor hatte er in Istanbul gesagt, er wisse, wer hinter Terrororganisationen wie der Gülen-Bewegung, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stehe. "Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen."

Wie könnte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen?

Die Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei wurde 2004 in Artikel 38 der Verfassung verankert - vor Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen im Jahr darauf. Für die Wiedereinführung wäre also eine Verfassungsänderung notwendig.

Dafür würde eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament benötigt (367 der 550 Sitze). Mit einer 60-Prozent-Mehrheit der Stimmen (330 Sitze) wäre ein Referendum möglich, das dann nur eine einfache Mehrheit im Volk bräuchte.

In jedem Fall wäre die islamisch-konservative Regierungspartei AKP (317 Sitze) von Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Die ultranationalistische MHP (36 Sitze) ist ebenfalls für die Todesstrafe, Parteichef Devlet Bahceli hat Erdogan in der Vergangenheit bei mehreren Vorhaben unterstützt. Gemeinsam hätten AKP und MHP genug Stimmen, um eine Volksabstimmung in die Wege zu leiten. Präsident Erdogan hat bereits angekündigt, dass er ein entsprechendes Gesetz unverzüglich unterzeichnen würde.

Um die Putschisten vom vergangenen Jahr hinzurichten, wäre die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht ausreichend. In Artikel 38 der Verfassung ist auch der Grundsatz verankert, dass niemand schwerer bestraft werden darf als die zum Zeitpunkt der Tat angedrohte Strafe. Die Strafe darf also nicht rückwirkend höher ausfallen.

Der gleiche Grundsatz findet sich in Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Türkei unterzeichnet hat. In Zusatzprotokollen verpflichteten sich die Staaten zudem zur Abschaffung der Todesstrafe. Der für Menschenrechtsfragen zuständige Europarat hat deshalb ankündigt, dass die Türkei bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe nicht mehr Mitglied sein könnte. Auch die EU will die Beitrittsverhandlungen mit Ankara dann beenden.

(APA/dpa)

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