Theater

Regisseure, Stücke, Schauspieler: Theater bei den Festspielen

Lina Beckmann  in "Rose Bernd"
Lina Beckmann in "Rose Bernd"(c) Salzburger Festspiele ( Monika Rittershaus)
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Simon Stone, Athina Rachel Tsangari, Karin Henkel, Gregor Bloéb.

„Ich bin Filmautorin – und Regisseurin“, sagt die Griechin Athina Rachel Tsangari, die heuer im Schauspiel der Salzburger Festspiele Frank Wedekinds „Lulu“ auf der Perner Insel in Hallein herausbringen wird – mit drei Lulu-Darstellerinnen. Die Aufführung ist ihre erste Regiearbeit am Theater. „Mich faszinieren die unterschiedlichen Facetten der Lulu als einer archetypischen Frauengestalt. Sie als Femme fatale oder einfach als Opfer eines Mörders zu zeigen, interessiert mich nicht“, erklärt Tsangari, die 1966 in Athen geboren wurde. Lulu ist für Tsangari „eine Zerstörerin, aber sie zerstört allmählich auch sich selbst. Vielleicht existiert Lulu gar nicht. Vielleicht ist sie nur die Projektion eines kollektiven Begehrens. Alle Frauen und Männer, die sie attraktiv finden, fühlen sich von ihr angezogen, solang sie sie nicht besitzen – doch sobald sie sie besitzen, ist es fast so, als hätte sie keine Substanz mehr.“

Tsangaris Lieblingsrolle im Stück ist allerdings die lesbische Gräfin Geschwitz, die Lulu bis zur Selbstvernichtung verfolgt: „Geschwitz berührt mich sehr, weil sie versucht, alles an Liebe aufzubieten, dessen sie fähig ist – in dieser von Wedekind entworfenen ziemlich kalten Welt, in der wir im Grunde über keine der handelnden Personen wirklich Bescheid wissen. Die Figuren lassen sich treiben und mir gefällt das. Sie sind Nomaden. Es gibt da eine zwielichtige Grenze zwischen Moral und Immoralität. Und genau genommen ist keine der Figuren sehr sympathisch. Die Geschwitz aber liebt Lulu tatsächlich. Sie möchte sie retten.“

Und die Geschwitz sei auch, so Tsangari, der perfekte Mittelpunkt des Stückes: „Sie ist androgyn. Das Androgyne in uns ist ein wichtiges Thema von ,Lulu‘“, so Tsangari, und „der Gegenstand der Forschung in meiner gesamten Arbeit. Ich möchte das Weibliche im Mann und das Männliche in der Frau finden und untersuchen, wie diese Anteile sich ständig rückkoppeln und wieder in sich selbst münden. Unser Ansatz wird also nicht sein: Du bist der Mann und du die Frau, sondern: Wie kommt es, dass wir zu Androgynen werden – oder in gewisser Weise zu Cyborgs, also Mischwesen aus Maschine und Mensch, aus dem Selbst und seinen Reflexionen, aus Mann und Frau. Lasst uns sehen, wo das hinführt.“

Wie viele heutige jüngere Künstler hat Tsangari sich mit vielen verschiedenen Disziplinen beschäftigt und viele verschiedene Interessen, Verhaltensforschung, Philosophie.

Weltbürger inszeniert „Lear“

Der 32-jährige Simon Stone, in Basel geboren, ist ein lässiger Weltbürger, der viel unterwegs ist. Dieses Jahr inszeniert inszeniert er bei den Salzburger Festspielen Simon Stone Aribert Reimanns „Lear“, unter anderem mit dem kanadischen Opernsänger Gerald Finley oder dem Burgschauspieler Michael Maertens. Dirigieren wird Franz Welser-Möst.

Simon Stone inszeniert Reimanns „Lear“ in der Felsenreitschule (Dirigent: Welser-Möst).
Simon Stone inszeniert Reimanns „Lear“ in der Felsenreitschule (Dirigent: Welser-Möst).(c) Salzburger Festspiele/Sandra Then

Stone begann als Schauspieler, machte Furore mit Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Sein Filmdebüt als Regisseur von „The Daughter“ nach Ibsens „Wildente“ wurde beim Toronto International Film Festival gezeigt.

Seinem Publikum bringt Stone gern Basics des Theaters bei: Er animiert Zuschauer zum Kichern, indem er vorführt, wie unterschiedlich man es gestalten kann, wenn zwei sich treffen, einer am Boden liegt oder wie die so wichtige Beleuchtung im Theater funktioniert: volles Licht oder nur die Unterlippe des Schauspielers? Comedy in der Comedy. „Unsere biologischen Träume sind immer dieselben und sie werden immer dieselben sein“, erklärte Stone im Interview mit der „Financial Times“: „Wir sind immer noch Tiere. Aber heutzutage ist es ein größerer Schock als früher, das zu erkennen und sich damit abzufinden.“

Radikale Emotionalität: Lina Beckmann in in „Rose Bernd“

Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd": Premiere am 29. Juli.

Karin Henkel inszeniert Hauptmanns „Rose Bernd“: „Diese Geschichte funktioniert wie ein Krimi über eine Welt ohne Liebe, ohne Mitleid. Religion wird als moralische Drohung verwendet. Die Enge des religiösen und gesellschaftlichen Korsetts könnte erschreckenderweise ein albtraumhaftes Bild unserer Zukunft sein. Im Moment leben wir noch in einer frei denkenden Gesellschaft, aber sie scheint ins Wanken zu geraten, wieder reaktionärer zu werden.“ Über 60 Stücke hat Henkel inszeniert, auch am Burgtheater. Nun freut sie sich, ihre „langjährige freundschaftliche Arbeitsbeziehung“ mit Bettina Hering in Salzburg fortzusetzen, wo „besonders inspirierende Vibra-tions“ in der Luft liegen. Für die Hauptrolle in „Rose Bernd“ wurde Lina Beckmann gewonnen. Mehrere Aufführungen, in denen sie spielte, wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen: „Ich kenne keine Schauspielerin mit einer solchen Bandbreite“, sagt Henkel, „und sie spielt immer mit einer unglaublich radikalen Emotionalität.“

Noch keine Erfahrungen mit Hauptmann hat Gregor Bloéb, der den Streckmann spielen wird. Wie sieht er das Stück? „‚Ein Klassiker bedeutet zeitlos zu sein. ,Rose Bernd‘ ist sogar in einer fast ausgestorbenen Sprache geschrieben. Und doch berühren diese Figuren, die aufeinander losgelassen werden. Wir sehen eine Gesellschaft, die in einem strengen Regelwerk lebt, was dazu führt, dass sich die Menschen krass und schrecklich benehmen.“ Gibt es eine Lehre? „Das ist für mich schwierig, ich hoffe, dass die Aufführung zeigt, was aus Menschen wird, die in einem strengen Falsch oder Richtig leben.“ Vieles hat sich verändert seit Hauptmanns Zeiten im Verhältnis von Frauen und Männern. Wie erlebt Bloéb dies? Er ist verheiratet mit Kollegin Nina Proll und Vater von vier Kindern. Seine Karriere hat er in den vergangenen Jahren stark forciert. Bloéb lacht: „Der Erfolg hat einzig und allein mit Nina zu tun. Ich bin kein Alleinverdiener mehr und habe damit die wunderbare Möglichkeit, nur mehr das anzunehmen, was mich wirklich interessiert.“

(c) Guenther Egger

Sind Männer gewalttätiger als Frauen? „Die Gewalt ist bei ihnen sichtbarer“, meint Bloéb: „Aber ich sehe Rose Bernd nicht nur als armes Hascherl, schließlich tötet sie ein Kind, und außerdem: Wer erzieht denn die Männer? Gesellschaftliche und moralische Regeln gelten für beide Geschlechter.“ Die Rolle nennt Bloéb „eine Lebensaufgabe, wie ich sie liebe. Ich spüre Abenteuerlust.“ Und er freut sich auf Tobias Moretti, heuer erstmals der Domplatz-Jedermann: „Es ist immer schön für mich, Zeit mit meinen Brüdern zu verbringen“, betont Bloéb.



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