Opern

Opern: Schöne Klänge und menschliche Abgründe

Plácido Domingo, zerrieben zwischen Machtanspruch und väterlicher Liebe.
Plácido Domingo, zerrieben zwischen Machtanspruch und väterlicher Liebe. (c) Rolex/Mario Testino
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Von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ bis Verdis "I due Foscari".

Fünf neue Operninszenierungen hat Neo-Intendant Markus Hinterhäuser bei seinen ersten Salzburger Festspielen im Talon. Aus dieser Perspektive den Höhepunkt bildet das Rollendebüt von Salzburg-Liebling Anna Netrebko als "Aida" unter Riccardo Muti. Aber auch die vier weiteren Musiktheaterpremieren bringen klingende Namen an die Salzach. Eine Auswahl:

Schicksalsoper: Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“

Bereits am 2. August steht Andreas Kriegenburgs Deutung von Dmitri Schostakowitsch "Lady Macbeth von Mzensk" am Plan, wobei hier die große Wagner-Sopranistin Nina Stemme ihr Rollendebüt in der Titelpartie geben wird. Im Graben führen wie bei den drei anderen genannten Produktionen die Wiener Philharmoniker das Regiment, dieses Mal unter Leitung von Mariss Jansons.

Die "Presse" sprach mit Mariss Jansons über seine persönlichen Erinnerungen an Dmitri Schostakowitsch: "Er hat nie viel gesprochen, und nie hätte er sich jemandem aufgedrängt. Wenn er geredet hat, dann war es immer sehr schnell. Nach dem, was wir heute lesen können, war er in seiner Jugend anders, aber später war er sehr
introvertiert." Aber auch über Schwierigkeiten, die sich bei der Ausführung ergeben.

Frauenpower für „Aida“

Verdis "Aida": Premiere am 6. August.

Die in New York lebende Fotografin, Film- und Video-Regisseurin und bildende Künstlerin Shirin Neshat wird heuer - für viele überraschend - die "Aida" in Szene setzen. "Als mich Markus Hinterhäuser anrief und fragte, ob ich diese Aufgabe übernehmen wolle, dachte ich, der ist ja verrückt. Aber jetzt bewundere ich den Mut und bedanke mich für das Vertrauen."

Shirin Neshat
Shirin Neshat(c) Salzburger Festspiele / Anne Zeuner

Shirin Neshat geht es, seit sie Künstlerin ist, um die Rolle der Frau, speziell um die Rolle der Frau in autoritären Staaten des Islam. "Und da sehe ich enorme Parallelen zwischen der Figur der 'Aida' und meinem eigenen Leben. Beide leben wir im Exil und sind beseelt von Schmerz, Hoffnung, Heimweh und dem Wissen um die Aussichtslosigkeit. Ja, ich identifiziere mich mit der 'Aida'".

Die aktuelle Salzburger "Aida" soll definitiv nicht dem Krieg huldigen, obwohl vieles an dieser Oper ja darauf hindeutet. "Verdi und sein Librettist mussten und wollten unterhalten und haben eine europäische Vorstellung des Orients entwickelt. Aber authentisch ist an dieser Tragödie nichts", sagte die Regisseurin. "Ich halte vor allem den Triumphmarsch für extrem problematisch. Daher habe ich Tänzer eingebaut - statt des Balletts - die eine zusätzliche Ebene darstellen und die andere Seite des Krieges verdeutlichen sollen. Diesem Zweck dienen auch die in die Inszenierung eingebauten Videos, in denen ich syrische Flüchtlinge und österreichische Passanten einander gegenüberstelle. Ich interpretiere Verdi so, dass man am Ende nicht eindeutig sagen kann, wer sind die Bösen und wer sind die Guten. Ein bisschen etwas von beidem ist schließlich in uns allen."

Currentzis und Salzburg: Wie geht das zusammen?

Wenn am 27. Juli Mozarts "La clemenza di Tito" bei den Salzburger Festspielen Premiere hat, wird man diese Oper in einer neuen Version hören. Regisseur Peter Sellars und Dirigent Teodor Currentzis wollen die spirituellen Seiten von Mozarts Spätwerk stark herausarbeiten.

Currentzis und Salzburg: wie geht das zusammen? Schließlich gilt er als der Marilyn Manson unter den Maestri. „Wenn ich darum gebeten werde, habe ich die Verpflichtung, unsere Ideen auch mit einem anderen, einem größeren Publikum zu teilen . . .“ sagt der für seine 45 Jahre extrem jugendlich wirkende Currentzis der "Presse".

Wie legen er und Regisseur Sellars Mozarts „Clemenza“ in Salzburg an? „Unser Ziel ist es, die spirituelle und nicht die illustrative Seite des Dramas zu zeigen“, sagt Currentzis: „Deswegen werden wir auch Teile seiner Messen einfügen. Denn wenn Sie anfangen, das Werk zu studieren, merken Sie gleich, dass Mozart sagt: Ich kann nicht mehr eine Oper wie ,Don Giovanni‘ schreiben. Ich habe nicht mehr die Zeit, die Kraft und die Inspiration, um etwas von dieser Qualität zu komponieren. Aber die Musik ist sehr autobiografisch. Man fühlt ununterbrochen: Das sind seine letzten Seiten, das ist sein letztes Jahr, das ist sein allerletztes Jahr. Und er weiß, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Und ohne dass er es eigentlich will, spricht er über die wichtigsten Dinge des Lebens. Nicht einmal in ,Don Giovanni‘ spricht er über diese Dinge. Hier aber schon, und sie sind wahnsinnig aktuell.“

Currentzis wird in Salzburg auch noch das Requiem dirigieren. Welche Version hat er gewählt? „Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen: die Süßmayr'sche! Ich bin eben altmodisch“, antwortet Currentzis und lacht: „Ich habe schon alle Versionen des Requiems dirigiert, ich habe sogar neue Fassungen in Auftrag gegeben. Aber am Ende des Tages ist die Süßmayr'sche Vollendung doch die beste. Denn alles, was zur selben Zeit bei und um Mozart lebt, wird letztlich auf geheimnisvolle Weise zu und von Mozart. Und somit auch das Benedictus und das Lacrimosa.“

Konzertante Opern

Gaetano Donizetti: „Lucrezia Borgia“: Premiere am 27. August
Verdis "I due Foscari": 11. August

Zwei konzertante Produktionen der Salzburger Festspiele 2017 ermöglichen uns die Begegnung mit Werken, die im realen Bühnenleben kaum Chancen haben, gezeigt zu werden. Wiewohl es sich im Fall von Plácido Domingo und Verdis „I due Foscari“ um eine Nachlese handelt – der ehemalige Tenor hat in seiner Eigenschaft als Bariton den alten Foscari bereits mehrfach auch in szenischen Aufführungen gesungen, zuletzt in einer Inszenierung von Alvis Hermanis im Vorjahr an der Mailänder Scala unter Michele Mariotti, der nun das Mozarteumorchester Salzburg dirigieren wird.

Der alte Foscari bietet Domingo pittoreske Szenen der Klage, des herrscherlichen Auftrumpfens, der Selbstzweifel und ein Finale, das den einst strahlenden Dogen als gebrochenen Mann in den Tod gehen lässt: Er musste seinen Sohn wider Willen – und, wie sich zu spät herausstellt, ungerechterweise verurteilen, muss zuletzt auch Ämter und Würden zurücklegen und stirbt, während die Glocken zu Ehren seines Nachfolgers läuten. Trotz solch starker Szenen spricht manches dafür, Verdis 1844 komponierte Partitur konzertant zu präsentieren, denn die Hürden für einen Regisseur sind hoch: So beginnt das Werk mit fünf solistischen Szenen, ehe es zum ersten Mal zu einem veritablen Dialog kommt. Die einzelnen Charakterbilder sind freilich von eminenter Schärfe: Nicht zuletzt für die Primadonna findet Verdi intensive Melodiebögen, die sich zu flehentlichen Gebeten oder auch zu rachsüchtig wütenden Beschwörungen des Jüngsten Gerichts steigern.

Juan Diego Florez, 2015
Juan Diego Florez, 2015(c) Rolex/Hugo Glendinning

Geistesblitze. Überdies wirft Verdi hier in manchen Passagen die alten Belcanto-Konventionen über Bord. Vor allem im Mittelakt verschmelzen die Formelemente zu beinah durchkomponierten Strukturen. Gerade angesichts der „Foscari“ schrieb Gaetano Donizetti an einen Freund, in dieser Oper seien doch einige echte Geistesblitze verborgen: „Neid liegt mir fern: Er ist der Mann, der Karriere machen wird, du wirst sehen . . .“
Dass Donizetti die aus dramaturgischer Wahrhaftigkeit geborenen Veränderungen des strikten formalen Schemas einer Belcanto-Oper als zukunftsweisend erkannt hat, nimmt nicht Wunder, wenn man bedenkt, dass sich der Meister selbst in manchen seiner Schöpfungen aus demselben Grund über die traditionellen Schemata hinweggesetzt hat. Nicht zuletzt in „Lucrezia Borgia“, jenem Melodram, das heuer als zweites zu konzertanten Festspiel-Ehren kommt.

Niemand Geringerer als Krassimira Stoyanova stellt sich als Titelheldin in diesem Werk vor, eine Künstlerin, die zuletzt vielschichtige Richard-Strauss-Figuren zu neuem Leben erweckt hat und nun beweist, dass man im schwereren deutschen Fach die nötige Leichtigkeit und Gewandtheit für den Belcanto nicht verlieren muss.

Verschwörungen, Verstrickungen. „Lucrezia Borgia“ kam 1833 an der Mailänder Scala heraus. Die Oper basiert auf einem im selben Jahr uraufgeführten Drama von Victor Hugo und handelt von der nicht eben zimperlichen Lucrezia Borgia, die zärtlicher Gefühle im Angesicht des jungen Gennaro fähig ist – der, wie sie bald erkennen muss, ihr eigener Sohn ist. Am Ende der wilden Verschwörungen und Verstrickungen, während derer Lucrezia keine Scheu hat, eine ganze Freundesgesellschaft ihres Sohnes aus Rachsucht zu vergiften, stirbt Gennaro in den Armen seiner Mutter. Anders als in Hugos Drama bleibt die Primadonna in der Oper freilich am Leben. Im Original ersticht Gennaro Lucrezia, die erst sterbend bekennt, seine Mutter zu sein. Wobei Hugo selbst Jahre nach Donizettis Tod eine neue Version des Finales publiziert hat, in dem der Dialog zwischen Mutter und Sohn deutlich subtiler entwickelt ist und Lucrezia zuletzt versichert, dass die Freude des Wiedererkennens den Schmerz überwiegt. Wieweit diese versöhnlichen Töne der Erfahrung dem Melodram Donizettis zu verdanken sind, bleibt ungewiss. Hugo hat sich gegen die Pariser Produktion der Oper vehement gewehrt und ist sogar gerichtlich dagegen vorgegangen – woraufhin das Theatre des Italiens Donizettis Stück nicht abgesetzt, sondern nur kurzerhand in die Türkei verpflanzt und einen neuen Titel gewählt hat: „La rinegata“.

Krassimira Stoyanova, die Titelheldin in Donizettis „Lucrezia Borgia“.
Krassimira Stoyanova, die Titelheldin in Donizettis „Lucrezia Borgia“.(c) Brescia e Amisano/Teatro alla Scala

Fortschrittlich. In Salzburg spielt man „Lucrezia Borgia“ am 27. und 30. August. An der Seite der Stoyanova gibt Juan Diego Flórez den Gennaro, der zweimal vergifteten Wein – „le vin de Borgia“, wie es bei Hugo so schön heißt – zu trinken bekommt; wobei beim zweiten Mal das von der Mutter gereichte Gegengift zu spät kommt. Ildar Abdrazakov ist der Herzog Alfons, Lucrezias Ehemann, der, weil er Gennaro für einen Nebenbuhler hält, aus Eifersucht die Intrige ins Rollen bringt. Alfons zuliebe bedient sich Donizetti in diesem, einem seiner formal fortschrittlichsten Dramen, noch einmal der ungeschminkten Belcanto-Dramaturgie und schenkt ihm eine klassische Arie samt Cabaletta. Sie nimmt jene Stelle ein, an der bei Hugo ein für den Charakter der Titelheldin bezeichnender Dialog die Rücksichtslosigkeit der Lucrezia decouvriert.

Schematisches Vorgehen vermeidet der Komponist – durchaus schon Verdis Realismus vorwegnehmend – in dieser Partitur über weite Strecken. So wurde die Cabaletta nach der Auftrittsromanze der Titelheldin (Donizettis Sopranistinnen haben sie gewiss dringlich eingefordert) erst nach der Uraufführung nachgeliefert!

Man darf gespannt sein, welche Variante für die Salzburger Aufführung gewählt wird. Es gibt ja in der Partitur sogar Passagen, in denen die Notation in die Irre führt. So steht eine Fermate über dem Anfangschor des zweiten Aufzugs, an den realistischerweise die folgende Szene sofort anschließen müsste. Wer die Buchstaben des Partiturgesetzes befolgt, geht hier fehl. Das beweist eine entsprechende Notiz des Komponisten in einem Brief bezüglich einer Einstudierung der „Lucrezia“ in Rom: „Il duetto comincia subito dopo il coro“ (Das Duett beginnt sofort nach dem Chor).

Feinsinnig. Dahinter steckt ein Denken in großen Bögen, das wenig später bei Verdi zur Sprengung jeglicher formaler Schablone führen wird. Donizetti erweist sich in seinen großen Dramen als Wegbereiter. Architektonisch feinsinnig scheint die formale Rundung der Dramaturgie durch eine Parallelaktion in den beiden Szenen von Gennaro und Lucrezia: Anlässlich der Erstbegegnung im Prolog folgt auf die jeweiligen lyrischen Ergüsse der beiden eine gemeinsame, expressive Cabaletta.

Das Finale kennt in seiner endgültigen Lesart zwei lyrische Soli und die virtuose Schlussszene der Lucrezia; auch das eine spätere Korrektur gegenüber der ursprünglichen, kürzeren Variante. Melomanen und musikalische Philologen dürfen daher gleichermaßen gespannt sein, welche „Lucrezia“ bei den Festspielen zu hören sein wird.

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