Eine Mikrofonpanne enthüllt, wie einig sich die Regierungschefs Israels und Ungarns bei Kritik an EU sind. Netanjahu lud Visegrád-Staaten für ihren Gipfel 2018 nach Israel ein.
Budapest. Manchmal ist es besser, die Sprache der Politiker nicht zu verstehen, über die man berichtet. Vor einer Pressekonferenz des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Budapest mit den Regierungschefs der vier sogenannten Visegrád-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei – V4) schenkten die ungarischen Kollegen und die Ungarn-Korrespondenten, die die Sprache verstehen, den zur Verfügung gestellten Kopfhörern für die Simultanübersetzung nicht viel Beachtung. Sie würden ja sowieso alles verstehen, Gastgeber Orbáns Ungarisch, und Netanjahu, der wie immer auf Englisch sprechen würde.
Aber ein Kollege von der Tageszeitung „Haaretz“ probierte die Dinger aus und stellte fest, dass da bereits etwas zu hören war, obwohl die Politiker noch gar nicht zur Pressekonferenz erschienen waren. Es war das Gespräch der Regierungschefs hinter geschlossenen Türen mit eingeschaltetem Mikrofon – einige Minuten lang, bevor Techniker die Leitung kappten. Zu spät. Wenig später standen Auszüge auf der Webseite der „Haaretz“.
„Es ist verrückt. Es ist tatsächlich verrückt“, sagte Netanjahu da über die EU. „Es ist die einzige Vereinigung von Ländern in der Welt die die Beziehungen zu Israel – das Technologie in allen Bereichen produziert – an politische Bedingungen knüpft. Sie sind die einzigen! Niemand macht das!“ Er beschrieb, wie viel vernünftiger etwa China oder Indien seien. „Wir haben eine besondere Beziehung mit China“, sagte er. „Sie kümmern sich nicht um politische Fragen.“
Ungarns Premier Viktor Orbán setzte noch eines drauf: „Herr Netanjahu, die EU ist sogar noch einzigartiger. Sie erlegt nicht nur Ländern außerhalb der EU Bedingungen auf, auch denen innerhalb der EU.“ Gemeint war wohl die Kontroverse zwischen Brüssel und Ungarn (und Polen) über die Einhaltung der europäischen Werte.
Beim offiziellen Pressegespräch forderte der israelische Premier die Visegráder Staaten dann auf, dabei zu helfen, die Haltung der EU gegenüber Israel zu ändern. Orbán sicherte seinerseits zu, dass die V4 dafür eintreten würden, das Verhältnis der EU zu Israel zu verbessern. „Wenn die EU nicht mit dem Judenstaat kooperiert, bestraft sie sich selbst.“ Vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik.
Hebel gegen die West-EU
Es war wohl der eigentliche Grund für Netanjahus zweitägigen Besuch in Budapest: Wie schon zuvor US-Präsident Donald Trump in Warschau am 6. Juli war der israelische Premier nach Kräften bemüht, die Kooperation mit den mitteleuropäischen EU-Länder zu stärken, als Hebel gegen eine West-EU, die weder Trump noch Netanjahu besonders gefällt. Der nächste Gipfel der Visegráder Staaten soll 2018 auf Einladung Netanjahus in Israel stattfinden.
Ähnlich wie zuvor US-Präsident Trump, der in Warschau gefragt hatte, ob Europa überhaupt überleben wolle, sagte der israelische Regierungschef hinter verschlossenen Türen: „Ich glaube Europa muss sich entscheiden, ob es leben und gedeihen will, oder verschrumpeln und sterben.“
Netanjahu, Trump und die Mitteleuropäer sehen Einwanderung aus muslimischen Ländern als größte Gefahr für Europa. Die V4 verabschiedeten dazu eine Erklärung, in der es hieß, Europa müsse seine Grenzen effektiv verteidigen und dürfe niemanden hereinlassen, der kein echter Flüchtling sei.
Netanjahus Visite war wichtig für Orbán, dessen Land oft antisemitischer Tendenzen bezichtigt wird. Aber würde ein israelischer Premier wirklich eine Regierung beehren, die antisemitisch ist? Außenminister Péter Szijjártó versäumte keine Minute, dies politisch auszuschlachten. Nach Netanjahus Besuch, sagte er, könne niemand mehr Ungarn des Antisemitismus bezichtigen. Für Netanjahu scheint Antisemitismus ein geringeres Problem als die Israel-Kritik in vielen EU-Staaten. Er hatte das am ersten Tag seines Besuches hervorgehoben: Die ständige Kritik an Israel sei „moderner Antizionismus“ und in der EU weit verbreitet. Er dankte Orbán, dafür, dass er diese Sicht ablehne und sich oft „in internationalen Foren für Israel eingesetzt“ habe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2017)