Die EU greift nach der Fritteuse

Views Of McDonald´s Restaurants As McDonald´s Japan Investigates Nuggets From Cargill´s Thai Unit
Views Of McDonald´s Restaurants As McDonald´s Japan Investigates Nuggets From Cargill´s Thai Unit(c) Bloomberg (Kiyoshi Ota)
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Ein Gesetzesentwurf der EU-Kommission will den Anteil der krebserregenden Substanz Acrylamid in Lebensmitteln senken – mit sehr detaillierten Vorgaben für Gastronomen.

Wien/Brüssel. Wie knusprig dürfen Pommes frites künftig sein? Wenn es nach den Vorstellungen der EU-Kommission geht, so wenig wie möglich. In der Brüsseler Behörde wird derzeit an einem Gesetzestext gearbeitet, der Gastronomiebetrieben und Lebensmittelherstellern noch viel Kopfzerbrechen bereiten könnte: Es geht nämlich um die Reduktion des Wirkstoffs Acrylamid in Speisen und Fertigprodukten. Eine Expertengruppe der EU-Mitgliedstaaten billigte am Mittwoch eine Vorlage der Kommission zu den Vorgaben, mit denen der Acrylamidgehalt gesenkt werden soll, und zwar ab 2019, sofern Rat und Europaparlament keinen Einspruch gegen den soeben fixierten Maßnahmenkatalog einlegen.

Acrylamid ist eine Substanz, die beim Rösten, Backen, Braten oder Frittieren von stärkehaltigen Lebensmitteln wie Erdäpfeln oder Mehl freigesetzt wird. In der Forschung gilt es als genotoxisch karzinogen (siehe unten) – bei Versuchstieren, denen große Mengen Acrylamid zugeführt wurden, wurde erhöhte Krebsgefahr festgestellt. Für Menschen gibt es keine fix festgelegten Grenzwerte für Acrylamid, es gilt stattdessen das sogenannte Alara-Prinzip, wie Jürgen Thier-Kundke vom deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin gegenüber der „Presse“ erläutert: Das Akronym steht für „As low as reasonably achievable“ – es geht also darum, die Menge Acrylamid in Lebensmitteln so weit wie möglich zu senken, ohne dabei exorbitanten Aufwand zu betreiben. Thier-Kundkes Empfehlung an die Lebensmittelhersteller lautet folglich: „Vergolden und nicht verkohlen.“

Farbtabelle für Schinken-Käse-Toasts

Das führt uns zurück zu den eingangs erwähnten Pommes frites: Die Vorgaben der EU-Expertengruppe, über die Rat und Europaparlament nur beraten müssen, sind nämlich ausgesprochen detailliert. So sollen die Betreiber von Frittierbuden künftig darauf achten, dass das Frittieröl nicht die Temperatur von 175 Grad Celsius übersteigt; sie sollen ihre Erdäpfel nicht unter sechs Grad Celsius aufbewahren, Sorten mit einem möglichst niedrigen Zuckergehalt verwenden und die rohen Erdäpfelstücke vor dem Frittieren blanchieren bzw. 30 Minuten einweichen, um Stärke aus den Pommes frites zu spülen. Ebenso problematisch sind die Vorgaben für Gastronomen, die den Schinken-Käse-Toast auf ihrer Speisekarte haben: „Gastronomiebetreiber haben dafür zu sorgen, dass alle Toasts eine optimale Farbgebung haben. Bei Weißbrot soll die optimale Kombination aus Farbe und Acrylamidgehalt anhand von Farbtabellen ermittelt werden“, heißt es in dem Gesetzesentwurf.

Unter den Europaabgeordneten regt sich bereits Widerstand. „Die Regeln gehen zu weit und sind weder notwendig noch sinnvoll“, sagt Elisabeth Köstinger, die Gesundheitssprecherin der ÖVP im EU-Parlament. Auch Renate Sommer, die CDU-Expertin für Lebensmittelsicherheit im Europaparlament, ist skeptisch: Es sei grundsätzlich richtig, den Acrylamidgehalt senken zu wollen, doch der Kommissionsvorschlag dürfte „kleine und mittelständische Unternehmen sowie Gastronomiebetriebe vor zu große Herausforderungen stellen“. Sommer plädiert stattdessen für einen verpflichtenden Acrylamidgrenzwert für vorverpackte Lebensmittel. Der Vorschlag hat den unbestrittenen Vorteil, dass große Nahrungsmittelproduzenten weniger Mühe mit der Befolgung der neuen Regeln haben dürften. Denn der Gesetzestext zielt nicht nur auf Pommes frites und Toasts ab, sondern macht auch den Herstellern von Knuspermüslis, Chips, Babynahrung und Getreidekaffee detaillierte Vorgaben.

Und was ist mit der Schnitzelpanier?

In der Gastronomiebranche ist die Begeisterung über den Vorstoß enden wollend: „Statt die Flüchtlingskrise endlich in den Griff zu kriegen, zerbricht man sich in Brüssel den Kopf darüber, ob die Pommes nicht zu braun sind“, wettert Mario Pulker, Obmann des Fachverbands Gastronomie in der Wirtschaftskammer Österreich. Pulker verwehrt sich gegen jegliche neuen „bürokratischen Schikanen für Betriebe“ und hofft darauf, dass sich das Beispiel der Allergenverordnung nicht wiederholt – das EU-Gesetz wurde nämlich vom österreichischen Gesetzgeber um die ungeliebten Allergenlisten in den Speisekarten erweitert. Möglicherweise wird aber nicht so heiß gegessen, wie es frittiert wird. Laut dem WKO-Obmann müsse nämlich erst abgeklärt werden, inwieweit die Acrylamidvorgaben nicht bereits Teil der österreichischen Gesetzgebung sind – eine Frittiertemperaturobergrenze von 175 Grad Celsius sei nämlich bereits vorhanden.

Eine weitere Frage, die der Klärung bedarf: Gilt die EU-Vorschrift auch für das Wiener Schnitzel? Dessen Panier besteht bekanntlich aus Ei, Mehl und Semmelbröseln – und die zwei letztgenannten Zutaten sind definitiv stärkehaltig.

DIE CHEMIE HINTER DEN PLÄNEN DER EU-KOMMISSION

Weitere Infos:www.diepresse.comAcrylamid – chemisch korrekter: 2-Propenamid, CH2=CH-CO-NH2 – wird in der chemischen Industrie zur Herstellung von Polymeren und Farbstoffen verwendet. In Lebensmitteln wurde es erstmals im Jahr 2000 nachgewiesen: Es entsteht bei der Maillard-Reaktion. Ende 2002 sorgte es erstmals für Aufregung, als es in Weihnachtskeksen (Spekulatius!) nachgewiesen wurde.

Die Maillard-Reaktion ist eine komplizierte Reaktion, bei der Verbindungen mit einer Aminogruppe (-NH2) in der Hitze zu einer Menge von Stoffen umgewandelt werden, die oft wichtig fürs Aroma sind und/oder die bräunliche Farbe von Gebackenem und Gebratenem ausmachen. Beides gilt für das geruchlose, farblose Acrylamid nicht. Es bildet sich aus der Aminosäure Asparagin – NH2-CO-CH2-CH(NH2)-COOH –, die in Erdäpfeln und Getreide vorkommt. Gefördert wird die Reaktion durch Zucker wie Glucose und Fructose, die sich ans Asparagin binden. Sie ist stark temperaturabhängig, sie findet schon bei 120 Grad Celsius statt, ihre Effizienz steigt jedoch ca. bei 170 Grad sprunghaft an.

Die Schädlichkeit ist umstritten. Es reagiert mit DNA, stärker tut das sein Abbauprodukt Glycidamid. In Versuchen mit Mäusen erwies es sich in hohen Dosen als karzinogen, bei Menschen fand sich trotz langjähriger Suche kein Zusammenhang zwischen Acrylamidgehalten in der Nahrung und Krebsrisiko.

AUF EINEN BLICK

Prozedere. Am Mittwoch hat eine Expertengruppe der EU-Mitglieder eine Vorlage der Kommission mit neuen Regeln für Lebensmittelhersteller, Gastronomiebetriebe und Bäckereien gebilligt. Nun sind Rat und Europaparlament am Zug. Stimmen auch sie zu, treten die Vorschriften 2019 in Kraft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2017)

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