Deutschland überprüft Rüstungsdeals mit Türkei

APA/AFP/IAKOVOS HATZISTAVROU
  • Drucken

Nachdem Berlin eine "Neuausrichtung" der Türkei-Politik angekündigt hat, könnte Deutschland Waffendeals mit dem Nato-Mitglied aussetzen. Der türkische Wirtschaftsminister versucht Investoren zu beruhigen: Die Krise sei nur vorübergehend.

Der Streit zwischen Berlin und Ankara zeigt erste konkrete Folgen für die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder: Die deutsche Regierung überprüft alle neuen Rüstungsprojekte mit der Türkei, gab eine Sprecherin des deutschen Wirtschaftsministeriums am Freitag bekannt. Einzelheiten nannte sie nicht.

2016 hatte die deutsche Regierung den Export von Rüstungsgütern in das NATO-Land im Volumen von 83,9 Millionen Euro genehmigt. Voraussichtlich dürfte nun das zuständige Wirtschaftsministerium keine neuen Ausfuhrgenehmigungen mehr erteilen. Bereits entschiedene Projekte dürften zunächst nicht betroffen sein. Denn gegen die Türkei sind bisher keine internationalen Sanktionen verhängt worden. Sollte die Auslieferung bereits geschlossener Geschäfte gestoppt werden, drohten der deutschen Regierung deshalb im Falle eines einseitigen Lieferstopps Entschädigungszahlungen an die Firmen.

Fernsehsender stoppen Türkei-Werbung

Das deutsche Außenministerium hatte am Donnerstag eine "Neuausrichtung" der Politik gegenüber Ankara angekündigt. Neben verschärften Hinweisen für Türkei-Urlauber kündigte das Ressort auch an, Wirtschaftshilfen und Exportgarantien für die Türkei zu überdenken. Die Regierung in Ankara warf der Bundesregierung daraufhin eine "große politische Verantwortungslosigkeit" vor. Anlass für die Maßnahmen sind die jüngsten Inhaftierungen von Menschenrechtsaktivisten in der Türkei, darunter der Deutsche Peter Steudtner.

Zugleich haben die deutschen Nachrichtensender n-tv und N24 am Freitag eine Werbekampagne eines türkischen Verbandes für den Wirtschaftsstandort Türkei gestoppt. Die Spots, die seit Mitte Juni ausgestrahlt wurden und für Investitionen in die Türkei werben, hatten am Donnerstag in sozialen Netzwerken Verwunderung und Unmut ausgelöst. Die Kampagne war bereits im vergangenen Jahr kurz nach dem gescheiterten Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angestoßen worden. Eine Vereinigung der türkischen Exportwirtschaft hatte Türkei-Chefs multinationaler Konzerne wie Toyota, GE und Unilever für eine Kampagne in Deutschland und sechs weiteren Industrieländern gewonnen.

Stopp der EU-Finanzhilfen im Gespräch

Der türkische Wirtschaftsminister reagierte auf die Schritte der deutschen Regierung mit Besorgnis: Deutsche Investitionen in der Türkei seien durch die Regierung und die Gesetze des Landes garantiert, und zwar zu "100 Prozent". Berichte, die Türkei habe der deutschen Regierung eine Liste mit Firmen gegeben, denen sie Verbindungen zum Putschversuch im vergangenen Jahr vorwirft, wies der Minister in dem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters als falsch zurück.

Die Krise mit Deutschland sei vorübergehend, sagte Zeybekci am Donnerstagabend. Mit Aussagen, die nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden anrichten könnten, müsse man sich zurückhalten. "Deutschland muss Kommentare, die unangebracht sind, überprüfen."

Die Regierung in Berlin verteidigte ihre Maßnahmen am Freitag - und schließt weitere Schritte nicht aus: "Wir werden zu jedem Zeitpunkt prüfen, ob weitere Beschlüsse notwendig sind. Und die werden wir dann gegebenenfalls auch öffentlich verkünden", sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier am Freitag im ZDF. So sollen die Brüsseler Finanzhilfen für den EU-Beitrittskandidaten Türkei überdacht werden.

Schäuble vergleicht Türkei mit DDR

Scharfe Worte fand der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung. Er verglich die Türkei ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch mit der DDR: "Die Türkei verhaftet inzwischen willkürlich und hält konsularische Mindeststandards nicht ein. Das erinnert mich daran, wie es früher in der DDR war".

Gleichzeitig wächst die Sorge über die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes und türkischer extremistischer Gruppen in Deutschland. "Wir haben Kenntnis über Einflussnahme der türkischen Regierung in Richtung türkische Gemeinschaft hier in Deutschland", sagte der deutsche Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Der türkische Geheimdienst habe sich außerhalb des deutschen Rechts bewegt und nachrichtendienstliche Informationen über Personen gesammelt. Maaßen sprach von Versuchen, die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland einzuschüchtern, sofern diese gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eingestellt sei.

(APA/AFP/Reuters/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Türkei signalisiert in Brüssel keinerlei Kompromissbereitschaft

Keine Bewegung im Streit um Steudtner und Yücel bei Cavusoglu-Besuch in Brüssel. Aber auch Bundeskanzler Kern zeigt im FAZ-Interview eine härtere Gangart gegenüber Ankara.
Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu.
Außenpolitik

EU-Treffen: Türkische Minister attackieren Medien

Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, erklärt praktisch alle inhaftierten Reporter für Terroristen.
Der türkische Präsident Erdogan sieht deutsche Spione im Land.
Außenpolitik

Erdogan: Deutschlands Agenten "zerteilen mein Land"

Deutschland hat mit einem verschärften Kurs gegen Ankara auf die Inhaftierung des Deutschen Peter Steudtner reagiert. Der türkische Präsident schlägt nun zurück.
Der türkische Präsident Erdoğan und der Emir von Kuwait, al-Sabah, wollen in der Katar-Krise vermitteln.
Außenpolitik

Türkei: Ein Spagat zwischen Doha und Berlin

Präsident Erdoğan versucht sich als Vermittler am Golf, während die Regierung die Krise mit Deutschland entschärfen will. Heute findet in Brüssel ein EU/Türkei-Treffen statt.
Außenpolitik

„Cumhuriyet“-Prozess: Erste Anhörung

Vorwürfe seien haltlos, so der angeklagte Journalist.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.