Das elegante Ende einer langen Geschichte

Das Porträt von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Klub wurde in den 1960er-Jahren aufgehängt. Wann genau und warum, ist nicht mehr eruierbar.
Das Porträt von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Klub wurde in den 1960er-Jahren aufgehängt. Wann genau und warum, ist nicht mehr eruierbar.(c) Michaela Seidler
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Noch jeder ÖVP-Chef musste sich mit dem Dollfuß-Bild im Parlament herumschlagen. Sebastian Kurz nutzte nun die Gunst der Stunde. Über den schwierigen Umgang mit – je nachdem – „Kanzlerdiktatur“ und „Austrofaschismus“.

So elegant wurde noch selten ein Diktator verräumt: Die neue Volkspartei des Sebastian Kurz nützt die Gelegenheit der Parlamentsübersiedelung, um Engelbert Dollfuß loszuwerden – und somit auch eine Debatte, die noch jeder ÖVP-Obmann über sich ergehen lassen musste: Wie hältst du es mit Engelbert Dollfuß? Oder im konkreten Fall: Wieso hängt dessen Porträt immer noch in den Räumen des ÖVP-Klubs?

Der Klub übersiedelt nun für die Zeit des Umbaus des Hohen Hauses am Ring in das Ausweichquartier in der Hofburg. Für die zehn Bilder aus dem ÖVP-Klub, darunter jenes von Dollfuß, ist dort kein Platz zum Aufhängen – also hat man alle dem niederösterreichischen Landesmuseum übergeben. Und dort werden sie auch bleiben. Das unspektakuläre Ende einer langen Geschichte.

Sebastian Kurz und die ÖVP haben sich damit auch eine aktive Entscheidung erspart, vor der bisher noch jeder ÖVP-Obmann zurückgeschreckt ist: Dollfuß einfach abzuhängen. Selbst liberale Parteiobleute wie Erhard Busek, Josef Pröll oder Reinhold Mitterlehner trauten sich da nicht drüber.

Warum war das so? Und darf man Engelbert Dollfuß überhaupt einen Diktator nennen? Von einer „Kanzlerdiktatur“ sprach der damalige Parteichef, Reinhold Mitterlehner, bei der 70-Jahr-Feier der ÖVP im Jahre 2015. Aber da war die ÖVP schon einen weiten Weg gegangen. Die Nachkriegskonservativen sagten noch „Ständestaat“ und verwahrten sich auch gegen den Begriff Diktatur, weil Dollfuß Widerstand gegen eine weit schlimmere Diktatur, jene der Nationalsozialisten, geleistet habe. Die Linke hingegen sprach von „Austrofaschismus“.

Überhaupt war die Begrifflichkeit, um den Charakter der Dollfuß-Regierung zu beschreiben, stets ein großes Thema – auch unter Historikern. Der bürgerliche Zeitgeschichtler Helmut Wohnout prägte den Begriff von der „Kanzlerdiktatur“. Der eher linke Politologe Emmerich Tálos hingegen propagierte die Bezeichnung „Austrofaschismus“. Dem hielt wiederum der Zeithistoriker Gerhard Botz entgegen, dass man eigentlich nur die (mit Dollfuß verbündete) Heimwehr als faschistisch bezeichnen könne.

Ähnlichkeit mit Franco

Also ähnlich wie im franquistischen Spanien: Explizit faschistisch war dort die Falange, die mit Francisco Franco eine Symbiose eingegangen war. Franco wiederum verfolgte in seiner Diktatur politisch ein ähnliches Konzept wie Dollfuß: den katholischen, korporatistischen Ständestaat. Man kann Dollfuß' Regime also schon faschistisch nennen – wenn man die ideologische Nähe zu Franco und Benito Mussolini heranzieht. Wobei ein Wesensmerkmal des Faschismus, das bei Mussolini sehr ausgeprägt war, bei Dollfuß wegfällt: die Massenbewegung. Und charismatische Führerfigur war er eigentlich auch keine.

Dass heutzutage vielfach Faschismus und Nationalsozialismus synonym verwendet, also gleichgesetzt werden, ist natürlich auch Teil des Problems: Mit den Nazis hatte Dollfuß nichts zu tun, er war ein Gegner. Mit Mussolini sehr wohl, dieser war ein Unterstützer. Der NS-Staat war totalitär, Dollfuß' System autoritär. Dort wurden Juden verfolgt, hier nicht.

Die ÖVP tat sich lange schwer, sich von Dollfuß zu distanzieren oder gar mit ihm zu brechen. Denn dessen Christlich-Soziale waren nun einmal die Vorgänger der ÖVP in der Ersten Republik, man sah ihn als erstes Opfer des Nationalsozialismus und Märtyrer und auch als Getriebenen der Zeitumstände. Denn auch die Sozialdemokraten hatten die Bürgerlichen bedroht – mit ihrem Linzer Programm von 1926, in dem von Enteignungen und für den Notfall auch von einer Diktatur der Arbeiterklasse die Rede war.

Demokratie ausgeschaltet

Und dass es einer der ihren war, der die Demokratie ausgeschaltet und Gegner standrechtlich hatte erschießen lassen, wollte man in ÖVP-Kreisen auch nicht gern hören. Immerhin bekam das Dollfuß-Bild im ÖVP-Klub dann im Jahr 2014 eine Zusatztafel, auf der auf den autoritären „Ständestaat“ Bezug genommen wurde. Aufgehängt worden war das Dollfuß-Porträt dort übrigens irgendwann in den 1960ern. Wann genau und warum ist nicht mehr eruierbar.

Im Jahr 2011 schrieb der Historiker Kurt Bauer in einem Gastkommentar im „Standard“: „Und vielleicht wird sie (die ÖVP, Anm.)ja dann, irgendwann einmal – etwa nach der anstehenden Parlamentsrenovierung – einfach darauf vergessen, das schändliche Dollfuß-Bild in ihren Klubräumen wieder aufzuhängen.“

So ähnlich sollte es dann auch kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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