Türkei: Wien bleibt zurückhaltend

Die Tourismusindustrie in der Türkei spürt die Auswirkungen der Flaute. Rund um die Hagia Sophia in Istanbul sind nur wenige Urlauber zu sehen. Sie kommen hauptsächlich aus arabischen Ländern. Im Westen mehren sich die Appelle zu einem Urlaubsboykott.
Die Tourismusindustrie in der Türkei spürt die Auswirkungen der Flaute. Rund um die Hagia Sophia in Istanbul sind nur wenige Urlauber zu sehen. Sie kommen hauptsächlich aus arabischen Ländern. Im Westen mehren sich die Appelle zu einem Urlaubsboykott.(c) REUTERS (Murad Sezer)
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Die Regierung in Berlin prescht vor und verschärft die Maßnahmen gegen die Türkei. Österreich hält sich zunächst zurück.

Wien. Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, zeigte sich am Freitag nach außen hin weiter kämpferisch: Deutschland mache der Türkei mit seinen „Drohungen“ keine Angst, sagte der Staatschef in einer Rede in Istanbul. Vielmehr solle sich Deutschland „zusammenreißen“. Doch zugleich gibt es erste Signale, dass die neue härtere Haltung Berlins in Ankara Nervosität auslöst. In sozialen Medien werden AKP-nahe User nicht müde zu betonen, dass die Türkei ein sicheres Land für Touristen sei. Der türkische Wirtschaftsminister, Nihat Zeybekçi, beteuerte, er könne den Schutz deutscher Unternehmen zu „100 Prozent“ garantieren. Die Krise mit Deutschland sei nur „vorübergehend“. Berichte über eine „schwarze Liste“ mit deutschen Firmen, die laut türkischen Behörden Terroristen unterstützten, wies er als falsch zurück. Das tat auch Präsident Erdoğan.

Am Freitag legte Berlin mit den Maßnahmen gegen Ankara aber weiter nach. Die Bundesregierung gab bekannt, alle neuen Anträge auf Ausfuhr von Rüstungsgütern in die Türkei „auf den Prüfstand“ zu stellen. Bereits am Donnerstag hatte der deutsche Außenminister, Sigmar Gabriel, deutschen Staatsbürgern nahegelegt, Reisen in die Türkei zu überdenken – ein Schlag für die türkische Tourismuswirtschaft. Was die Türkei noch härter treffen könnte: Berlin will die Hermes-Bürgschaften für die Geschäfte deutscher Unternehmen in der Türkei überdenken. Mit diesen Bürgschaften sichert der Staat Firmen ab, die im Ausland investieren.

Wien plant keine Sanktionen

Österreichs Regierung – zuletzt am harschsten in der Rhetorik innerhalb der EU gegenüber der Türkei – will so weit offenbar nicht gehen. Es seien keine Sanktionen gegen Ankara geplant, hieß es auf Anfrage der „Presse“ aus dem österreichischen Kanzleramt. Zugleich wurde aber erneut die Menschenrechtslage in der Türkei verurteilt. Das österreichische Außenministerium aktualisierte – parallel zu Deutschland – die Reisehinweise für die Türkei. Zudem verwies ein Sprecher auf die Linie von Außenminister Sebastian Kurz (VP), die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. Das verlangt auch Bundeskanzler Christian Kern (SP). Kern und Kurz liefern einander bereits seit dem Vorjahr einen Wettkampf, wer am härtesten gegen Erdoğan auftritt. Beide Politiker sehen sich nun bestätigt.

Deutschlands Regierung hingegen hat sich zunächst stets zurückhaltend gegeben. Monatelang ließ man die Provokationen Erdoğans, dessen Nazi-Vergleiche und die Politik der Nadelstiche über sich ergehen – auch mit dem Kalkül, den Flüchtlingspakt mit Ankara nicht platzen zu lassen. Nun aber ist der Regierung in Berlin der Geduldsfaden gerissen, und dies passiert nicht zufällig zwei Monate vor der Bundestagswahl. Dass die Große Koalition in Berlin jüngst einen Auftritt des türkischen Präsidenten rund um den G20-Gipfel in Hamburg entschieden ablehnte, gab den Ton und den Richtungswechsel bereits vor, den Außenminister Gabriel jetzt ankündigte. Er tat dies, wie er sagte, in Abstimmung mit Kanzlerin Merkel, die sich in ihrem Urlaub in Südtirol vorerst bedeckt gibt.

Umso lauter und vehementer trat Gabriel auf, der eigens seinen Urlaub an der Nordsee unterbrach, um eine schärfere Gangart gegenüber der Türkei einzuschlagen. Die Festnahme des deutschen Amnesty-International-Mitarbeiters Peter Steudtner hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Im Streit um das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter bei Bundeswehr-Soldaten am türkischen Stützpunkt Konya und der Luftwaffenbasis Inçirlik hat die Regierung in Berlin die Konsequenzen schon gezogen: Sie verlegt das Kontingent kurzerhand nach Jordanien.

Innerhalb der Großen Koalition prescht die SPD vor. Gabriel machte nur vor einer expliziten Reisewarnung halt. Er warnte die deutschen Unternehmen unverhohlen vor Investitionen in der Türkei. Berichte, wonach Ankara fast 700 deutsche Firmen, darunter Großunternehmen wie Daimler und Siemens, wegen angeblicher Unterstützung von „Terroristen“ – sprich Regimegegnern – auf die „schwarze Liste“ gesetzt hatte, löste in den Konzernen blankes Unverständnis aus.

SPD-Chef Martin Schulz erklärte, die türkische Regierung habe die roten Linien überschritten. „Die Türkei eskaliert und provoziert, die ich nicht mehr für akzeptabel halte.“ Sein Parteifreund, Justizminister Heiko Maas, ließ via „Bild“-Zeitung den deutschen Urlaubern ausrichten: „Wer in die Türkei reist, verbringt seinen Urlaub leider nicht in einem Rechtsstaat.“ In der deutschen Öffentlichkeit häufen sich die Appelle für einen Urlaubsboykott in der Türkei.

Auch in der CDU dominiert scharfe Kritik. Finanzminister Wolfgang Schäuble fühlt sich in der Post-Putsch-Türkei mittlerweile an DDR-Zustände erinnert. „Wir haben eine Schutzpflicht für unsere Bürger und Unternehmen“, erklärte Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Der deutsche Geheimdienst betrachte den türkischen Nachrichtendienst mittlerweile als Gegner, sagte nun sogar BND-Chef Hans-Georg Maaßen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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