Türkei: Journalisten auf der Anklagebank

Plakat mit Abbildungen der Mitarbeiter der Zeitung „Cumhuriyet“, denen der Prozess gemacht wird. Die Botschaft: „Ihr seid nicht allein. Wir sind nicht allein.“
Plakat mit Abbildungen der Mitarbeiter der Zeitung „Cumhuriyet“, denen der Prozess gemacht wird. Die Botschaft: „Ihr seid nicht allein. Wir sind nicht allein.“(c) Schmitt/DPA/picturedesk.com
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In Istanbul beginnt ein Prozess gegen mehr als ein Dutzend Mitarbeiter der Erdoğan-kritischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ wegen angeblicher Terrorunterstützung.

Wenn es nach der türkischen Staatsanwaltschaft geht, kann man schon zum Terroristen werden, indem man den falschen Parkettleger beschäftigt. Oder einen Anruf von einem mutmaßlichen Bösewicht erhält. Wegen Vorwürfen dieser Art müssen sich ab Montag mehr als ein Dutzend Mitarbeiter der Istanbuler Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ vor Gericht verantworten. Ihnen drohen lange Haftstrafen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Journalistenverbände werten das Verfahren als Beispiel für den Druck auf die Medien: Nach ihrer Ansicht steht in dem Prozess der autokratische Kurs der Regierung in Ankara am Pranger.

Wie absurd die Vorwürfe der Anklage sind, hat der mitangeklagte „Cumhuriyet“-Kolumnist Kadri Gürsel in einer in der U-Haft geschriebenen Analyse herausgearbeitet. Gürsel war per SMS und Anrufen von mutmaßlichen Anhängern des Predigers Fethullah Gülen kontaktiert worden. Obwohl Gürsel die meisten davon nicht beantwortet hat, hält ihm die Anklage vor, mit Gülenisten konspiriert zu haben. Wenige Tage vor dem Putschversuch im Juli 2016, der laut Ankara von Gülen organisiert wurde, nutzte Gürsel (56) seine Kolumne für Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdoğan – die Staatsanwaltschaft wertet das als Straftat. Der streng laizistische Gürsel soll also nach dem Willen der Anklage 15 Jahre ins Gefängnis.

Bizarre Vorwürfe

Der „Cumhuriyet“-Geschäftsführer, Akin Atalay, sitzt in Haft, weil er seinen Fußboden von einem Unternehmen erneuern ließ, das einen Gülenisten als Kunden hatte. Ein Kollege Gürsels soll als Terrorist verurteilt werden, weil er bei einem Reisebüro gebucht hat, bei dem auch ein Gülen-Anhänger ein Ticket gekauft hat. Und so fort.

Mit ähnlich fragwürdigen Argumenten waren zuletzt der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner und andere Aktivisten in türkische U-Haft genommen worden. Steudtner könnte also möglicherweise sehr lang in Haft bleiben, bis ihm der Prozess gemacht wird. Zwölf der 19 Angeklagten im „Cumhuriyet“-Prozess befinden sich in U-Haft – einige von ihnen seit fast neun Monaten. So werde die Untersuchungshaft zur „Gefängnisstrafe ohne Urteil“, schrieb Gürsel.

Druck auf die Medien spüren viele Journalisten in der Türkei, doch „Cumhuriyet“ wird besonders streng verfolgt. Unter den Angeklagten ist auch der Cartoonist Musa Kart, der sich mehrmals über Erdoğan lustig gemacht hat. Der nach Deutschland geflohene ehemalige Chefredakteur des Blattes, Can Dündar, zählt ebenfalls zu den Beschuldigten. Dündar war von Erdoğan öffentlich zum Landesverräter ausgerufen worden.

Beobachter aus dem Ausland

Journalistenverbände in der Türkei und im Ausland wollen Delegationen zum Prozessauftakt im Justizpalast im Istanbuler Stadtteil Caglayan schicken. Auch einige EU-Abgeordnete wollen das Verfahren verfolgen. Zudem wird mit Demonstrationen gerechnet. Der Prozess dürfte die Spannungen zwischen der Türkei und Europa verschärfen. Am Sonntag wies Präsident Erdoğan die Kritik des Auslands an Verhaftungen als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei“ zurück. Insbesondere Deutschland habe kein Recht dazu. Schließlich gewähre Deutschland Hunderten Gülen-Anhängern und Regierungsgegnern ein Aufenthaltsrecht.

Erdoğan-Reise an den Golf

Unterdessen rief Erdoğan am Sonntag zur Beilegung des Konflikts zwischen Katar und seinen arabischen Nachbarstaaten auf. Er brach danach zu einer zweitägigen Reise an den Golf auf. „Die muslimische Welt braucht Zusammenarbeit und Solidarität, keine neue Spaltung“, so Erdoğan. Er warf nicht näher bezeichneten „Feinden“ vor, „das Feuer zwischen den Brüdern“ anzufachen.

Saudiarabien, Ägypten, Bahrain und die Emirate hatten Anfang Juni die Beziehungen zu Doha jäh abgebrochen und Sanktionen gegen Katar verhängt. Sie begründeten dies damit, das Land unterstütze Terroristen wie den IS. Die Türkei steht hinter Katar und hat sogar Truppen dorthin verlegt, will aber gleichzeitig ihre Beziehungen zu Riad wahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2017)

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