Auto-Absprachen: Was hinter dem Kartellvorwurf steckt

Das mutmaßliche Autokartell ist die nächste Hiobsbotschaft für die erfolgsverwöhnte deutsche Fahrzeugindustrie.
Das mutmaßliche Autokartell ist die nächste Hiobsbotschaft für die erfolgsverwöhnte deutsche Fahrzeugindustrie. (c) AFP
  • Drucken

Absprachen bei technischen Details wie der Abgasreinigung – so lautet der jüngste Vorwurf gegen deutsche Autokonzerne. Bewahrheitet er sich, könnte es für die Firmen teuer werden.

Wien. In etwas mehr als einem Monat jährt sich der Jahrestag des Auffliegens des VW-Abgasskandals zum zweiten Mal. Wie kaum eine Affäre zuvor hat der mutmaßliche Betrug bei den Abgaswerten von Dieselmotoren das Industrieflaggschiff und in weiterer Folge auch die gesamte Branche unter Druck gebracht. Gerade als die deutsche Autoindustrie dabei ist, mit dem Thema abzuschließen, ereilt sie jedoch der nächste – eventuell noch größere – Skandal.

Wie am Wochenende berichtet, besteht laut Unterlagen, die dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vorliegen, der Verdacht eines illegalen Kartells – gebildet von VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche. Am Montag reagierten nicht nur die Behörden auf die jüngsten Enthüllungen, auch an den Börsen gab es deutliche Reaktionen. Was sind die konkreten Vorwürfe, und was könnten die Folgen sein? „Die Presse“ gibt Antworten.

1 Was sollen die Autohersteller konkret abgesprochen haben?

Die fünf beteiligten Autohersteller sollen sich seit den 1990er-Jahren in mehr als 60 Arbeitskreisen in technischen Details miteinander ausgetauscht haben. So soll etwa abgemacht worden sein, bis zu welcher Geschwindigkeit sich Cabrioverdecke öffnen lassen. Damit habe man ein unnötiges Wettrüsten bei vielen Themen verhindern wollen, geht aus den Unterlagen hervor. Allerdings wurde dadurch – im Gegensatz zum öffentlichen Bild der Branche – in vielen Bereichen auch der freie Wettbewerb um die technologisch beste Lösung ausgeschaltet.

2 Inwiefern spielen die Absprachen in den Dieselskandal hinein?

Im Rahmen der Arbeitskreise zum Dieselmotor stand auch die Abgasreinigung auf der Agenda. Konkret ging es um die Größe von AdBlue-Tanks. AdBlue ist ein Harnstoffgemisch, das in das Abgas gespritzt wird und dort Stickoxide in Stickstoff und Wasser zerlegt. Ursprünglich für Lkw entwickelt, hielt es vor rund zehn Jahren bei Pkw Einzug. Da die zusätzlichen Tanks Gewicht brachten und Platz kosteten, trachteten die Hersteller danach, einheitlich nicht zu große Tanks zu verwenden. Angesichts der immer strengeren Abgasgesetze, wurden diese in der Folge jedoch oftmals zu klein. Wurde genügend Harnstoff eingespritzt, um dem Gesetz Genüge zu tun, konnte die gewünschte Reichweite nicht mehr geschafft werden. Manche lösten das Problem mit Schummelsoftware bei Abgastests. Das musste aber nicht so sein. So verwies BMW am Montag darauf, dass bei den Autos der Münchner die Vorschriften eingehalten wurden.

3 Waren die Absprachen der Hersteller in jedem Fall illegal?

Diese Frage muss erst von den Wettbewerbsbehörden geklärt werden. In den Unterlagen, die quasi Selbstanzeigen von VW und Daimler sind, geht zumindest VW davon aus, dass es zu „kartellrechtswidrigem Verhalten“ gekommen ist. Daimler wiederum zog sich nach dem Auffliegen des Lkw-Kartells vor einigen Jahren teilweise aus den Arbeitskreisen zurück. Zwei Gründe sprechen sehr stark für illegales Verhalten: So wurden Anträge anderer Hersteller mitzumachen abgelehnt. Es war also keine offene Plattform. Und es soll auch konkret über Zulieferer und Preise für Bauteile gesprochen worden sein.

4 Wie sind die Behörden dem Kartell auf die Schliche gekommen?

Das mutmaßliche Autokartell ist ein „Beifang“ von Ermittlungen in einem anderen Kartell. So untersuchten Wettbewerbshüter im Rahmen der Nachforschungen rund um das Stahlkartell im Vorjahr mehrere Unternehmen und stießen dabei auf erste Unterlagen. In der Folge preschten zwei der betroffenen Konzerne – VW und Daimler – nach vorn und gingen zu den Behörden. Das soll ihnen niedrigere Strafen bringen.

5 Welche Auswirkungen hatten die Absprachen auf die Autokäufer?

Theoretisch könnten die Kunden der Hersteller aufgrund der Absprachen höhere Preise für schlechtere Autos bezahlt haben, als ohne Absprachen möglich gewesen wäre. Das zu beweisen wird jedoch schwierig werden. Konsumentenschützer nahmen dennoch bereits das Wort Sammelklage in den Mund.

6 Welche Folgen könnte das Kartell für die Konzerne haben?

Einerseits sind Klagen von Kunden möglich. Wahrscheinlicher sind jedoch Strafen der Wettbewerbshüter, die bereits ermitteln, wie die EU-Kommission mitgeteilt hat. Hierbei könnte es schnell um Hunderte Millionen oder gar Milliarden Euro gehen. An der Börse reagierten die Anleger am Montag daher sofort. Die betroffenen Firmen lagen allesamt im roten Bereich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2017)

Mehr erfahren

Themenbild
New Articles

Autokartell: Wurde die Ad-hoc-Pflicht verletzt?

Hätten die Anleger schon früher über den Kartellverdacht informiert werden müssen?
GERMANY-ECONOMY-AUTOMOBILE-VW
Österreich

VW zu Kartellverdacht: Austausch zwischen Autobauern "üblich"

Die EU-Kommission prüft derzeit Informationen, wonach sich deutsche Autobauer in verschiedenen Fragen abgesprochen haben sollen.
Österreich

Autokartell: Strafdrohung bis zu 54 Mrd. Euro

Am Mittwoch tagen die Aufsichtsräte bei Volkswagen und Mercedes, um die Kartellvorwürfe zu diskutieren. Die Geldstrafen für die involvierten Firmen könnten hoch sein, zudem gibt es bereits Diskussionen über Sammelklagen.
Automarken VW BMW Audi Porsche Mercedes Symbolfoto zum Kartellverdacht Fotomontage Automarken
Österreich

Autokartell drohen Strafen bis zu 50 Milliarden Euro

Österreichische Lieferanten könnten infolge von Absprachen nicht zum Zug gekommen sein, sagte der heimische Wettbewerbsbehörden-Chef Thanner.
Kommentar

Die kriminelle Vereinigung

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Chuzpe die Autoindustrie in Deutschland über viele Jahre agiert hat.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.