Polen droht die Justiz-Isolation

Seit Tagen wurde auch vor dem Präsidentenpalast in Warschau gegen die umstrittene Justizreform der polnischen Regierungspartei PiS protestiert.
Seit Tagen wurde auch vor dem Präsidentenpalast in Warschau gegen die umstrittene Justizreform der polnischen Regierungspartei PiS protestiert.(c) REUTERS
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Das teilweise Veto von Präsident Duda gegen den Gerichtsumbau lässt das Grundproblem ungelöst: Die Regierung will eine politisierte Justiz, deren Urteile in Europa nicht anerkannt würden.

Brüssel. Ein Aufatmen ging am Montag knapp nach zehn Uhr Vormittag durch Europa, als der Präsident Polens, Andrzej Duda, in einer Fernsehansprache sein Veto gegen zwei der drei umstrittenen Gesetzesentwürfe zum Umbau des Gerichtswesens aussprach. Die beiden Novellen hätten erstens dem Justizminister freie Hand zur Absetzung und Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtshof gegeben und zweitens den Landesrichterrat, der die Unabhängigkeit der Justiz gewährleisten soll, unter die politische Kontrolle einer im Parlament bloß von einfacher Mehrheit gestützten Regierung gebracht.

Ergebnis der verklausulierten Vorlagen wäre es gewesen, dass Justizminister Zbigniew Ziobro, ein Hardliner vom rechten Rand der nationalkonservativen PiS-Partei, in Polens Justiz schrankenlos politisch gefügige Richter einsetzen und unliebsame hätte entlassen können.
Doch mit Dudas Veto ist die polnische Staatskrise, in der PiS-Chef Jarosław Kaczyński die Opposition als „Kanaillen“ und „Mörder“ beflegelt hat, noch lang nicht zu Ende. Denn Duda, ein treuer Gefolgsmann Kaczyńskis, hat sein Amtsverständnis einmal als Umsetzung des Programms der PiS bezeichnet.

Europäische Richter warnen

Zudem hat der Präsident bemerkenswerterweise den dritten Teil des Justizumbaus der PiS-Regierung nicht beanstandet. Die Novelle, welche Justizminister Ziobro ab Inkrafttreten ein halbes Jahr lang völlig freie Hand beim Entlassen der Präsidenten unterinstanzlicher Gerichte verleiht, dürfte somit in Kraft treten.

Ein Minister, der die Gerichte freihändig auf seine Linie bringen kann: Das ist mit den Grundwerten der Europäischen Union, deren Mitglied Polen seit 2004 ist, nicht vereinbar. Die Vorhaben der PiS „stellen eine methodische Demolierung des Grundrechts auf einen unabhängigen Gerichtshof auf eine Weise dar, die bisher noch in keinem demokratischen Land gesehen wurde, das zur Europäischen Union gehört und in dem Rechtsstaatlichkeit herrscht“, mahnte die Europäische Richtervereinigung.

Am Montag sprach Jens Gnisa, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, eine noch drastischere Warnung an Warschau aus: Sofern einem Beschuldigten in Polen „kein faires, sondern ein von der Regierung beeinflusstes politisches Verfahren droht, liefert die deutsche Justiz ihn im Zweifelsfall eher nicht aus“.

Es geht um die gegenseitige Anerkennung von zivil- und strafrechtlichen Urteilen ebenso wie Fragen des Erb- und Familienrechts. Seit 2004 gilt der Europäische Haftbefehl, der die grenzüberschreitende Verfolgung von Verbrechern erleichtert. Er wird immer stärker in Anspruch genommen: 2014 wurden 5480 Verdächtige auf diese Weise von einem an ein anderes EU-Land übergeben – dreimal mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Und die Justizzusammenarbeit vertieft sich mehr und mehr: Seit Mai ist die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen in Kraft. Sie ermöglicht es Justizbehörden, grenzüberschreitend die Aufnahme von Beweismitteln anzuordnen.

Ein Freund Polens gegen die PiS

Darum befasst sich die Kommission intensiv mit der Frage, inwiefern Artikel 19 des EU-Vertrags eine Grundlage für ein Vertragsverletzungsverfahren böte. Diese Vorschrift hält fest, dass die nationalen Gerichte die Umsetzung des Unionsrechts gewährleisten. Ein österreichischer, polnischer, italienischer Richter ist, wenn er Unionsrecht anwendet, eben auch EU-Richter.

Die Vorhaben der PiS-Regierung greifen also tief in den Maschinenraum der Rechtsgemeinschaft EU. Morgen, Mittwoch, wird die Kommission entscheiden, wie sie diesen Eingriff stoppen will – bis hin zur Eröffnung eines Verfahrens zur Aussetzung der polnischen Unionsmitgliedschaft. Der Mann, der dafür verantwortlich ist, hegt eine tiefe Verbundenheit zu Polen: Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission, ist Sohn eines Mannes, der nur dank der Befreiung der niederländischen Stadt Breda von den Nazis durch alliierte polnische Truppen dem Hungertod entronnen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2017)

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