Vorwürfe seien haltlos, so der angeklagte Journalist.
Istanbul. Am ersten Tag des aufsehenerregenden Prozesses gegen die Journalisten der kemalistisch orientierten Zeitung „Cumhuriyet“ in Istanbul hat der Kolumnist Kadri Gürsel seine Verteidigungsrede gehalten. Die Anklage wirft Gürsel und anderen Redakteuren vor, mit der islamischen Bewegung des Predigers Fethullah Gülen den Sturz des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan geplant zu haben. Lächerlich, entgegnet Gürsel. Vor nicht allzu langer Zeit sei Erdoğan noch mit Gülen verbündet gewesen, betont der Journalist. Er selbst habe in seinen Kolumnen kritisch auf diese Zusammenarbeit hingewiesen – und auf die daraus erwachsenen Gefahren für die Regierungspartei AKP. Wer wolle, könne das alles nachlesen.
Gutachter Erdoğan-Fan?
Dass der Richter diesem Rat folgt, ist fraglich. Denn heute will Erdoğan von dem früheren Bündnis mit Gülen nichts mehr wissen. Dafür verfolge seine Regierung kritische Geister jeder Couleur mit dem Vorwurf der Mauschelei mit dem Prediger – und die Justiz mache mit, sagen Kritiker. Einer der von der Staatsanwaltschaft bestellten Gutachter, die „Cumhuriyet“ staatszersetzende Tendenzen vorwerfen, trete in sozialen Netzwerken offen als Bewunderer von Erdoğan auf, sagt Akın Atalay, der ebenfalls angeklagte Geschäftsführer des Blattes.
Gürsel ist der erste der insgesamt 17 Angeklagten, die in den nächsten Tagen vor Gericht aussagen sollen; gegen den nach Deutschland geflohenen Ex-Chefredakteur von „Cumhuriyet“, Can Dündar, wird in Abwesenheit verhandelt. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu 43 Jahre Haft. Es gebe keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Vorwürfe, sagt Gürsel. (güs)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2017)