Slowakei: Arme Nachbarn, reiche Nachbarn

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Nach der Ostöffnung beäugten die Österreicher im Grenzgebiet slowakische Gäste noch misstrauisch. Heute sind sie als finanzkräftige Konsumenten und Immobilienkäufer Stützen der regionalen Wirtschaft.

Bratislava. Als sich vor zwanzig Jahren der Eiserne Vorhang öffnete, bummelten zahlreiche Slowaken „nur zum Gucken“, wie sie auf Deutsch zu sagen pflegten, durch Hainburg und Wien, ohne sich die bewunderten Waren kaufen zu können.

Jetzt kommen die Einheimischen in den burgenländischen und niederösterreichischen Grenzgemeinden aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie grundlegend sich das Auftreten der einstigen armen Nachbarn gewandelt hat.

Statt mit klapprigen Skodas fahren die Slowaken jetzt mit teuren Autos und in nobler Markenkleidung zu Großeinkäufen in die lokalen Supermärkte. Sie stellen einen beträchtlichen Teil der Kaufkraft von Grenzgemeinden wie Hainburg.

„Bitte nicht stehlen!“

Noch mehr staunen die Einheimischen über den Immobilienboom, den die gut verdienende Ober- und Mittelschicht aus Bratislava in der österreichischen Grenzregion ausgelöst hat. Die Preise für Häuser und Grundstücke sind seit dem EU-Beitritt der Slowakei auch auf österreichischer Seite in die Höhe geschnellt. Gekauft wird großteils von Slowaken.

Wo kurz nach der Wende wenig schmeichelhaft „Bitte nicht stehlen!“ als erster Hinweis in slowakischer Sprache prangte, ist es inzwischen selbstverständlich geworden, zum Verkauf angebotene Häuser mit der slowakischen Aufschrift „Na predaj“ („Zu verkaufen“) anzubieten – vorzugsweise jenen Interessenten, die deutlich höhere Preise zahlen können als die meisten alteingesessenen Bewohner der Dörfer und Kleinstädte im österreichischen Umkreis von Bratislava.

Hainburg, Wolfsthal, Berg, Kittsee und allmählich auch weiter von der Staatsgrenze entfernte Gemeinden werden zu Wohn- und Einkaufsvororten der Boomstadt Bratislava.

Jan Budaj gilt in der Slowakei als ähnliche Symbolfigur für die Wende wie Vaclav Havel in Tschechien. Für ihn ist gerade Hainburg ein Symbol dafür, wie sehr die österreichischen Grenzgemeinden von Wende und Aufschwung im Osten profitiert haben. Als er am 7. Dezember 1989 beim berühmten „Marsch nach Hainburg“ zusammen mit 100.000 Demonstranten in den Ort kam, „war das ein gottverlassenes Nest, in dem der Verputz von den Hauswänden bröckelte. Und sehen Sie sich Hainburg heute an, wie es aufblüht!“, sagt Budaj im Gespräch mit der „Presse“.

Dass Hainburg besonders vom Einkaufstourismus aus Bratislava lebt, zeigt schon ein Blick auf die Nummernschilder der vor den Geschäften parkenden Autos: Vor allem auf den nobleren Gefährten dominiert längst das slowakische „BA“. Ähnliches gilt für Kittsee, ganz zu schweigen vom Outletcenter in Parndorf, das ohne die Kunden aus der Slowakei und Ungarn gar nicht vorstellbar wäre. Viele slowakische Eltern melden ihre Kinder in österreichischen Schulen an, damit sie eine deutschsprachige Ausbildung erhalten. Sie haben meist einen guten Bildungshintergrund, und heben so das Schulniveau.

Viele dieser Familien haben inzwischen auch ihren Wohnsitz nach Österreich verlegt, obwohl der Arbeitsplatz weiterhin im nahen Bratislava geblieben ist. Orte wie Kittsee, Berg, Wolfsthal und sogar Hainburg liegen ja näher am Stadtzentrum der slowakischen Hauptstadt als manche zum Stadtgebiet selbst gehörende Stadtteile Bratislavas.

Hohe Immobilienpreise

Und die Krise? Man merke schon, berichtet der österreichische Immobilienmakler Nermin Rahimic, dass die restriktiver gewordene Kreditvergabe der österreichischen Banken den Slowaken zu schaffen macht. Meist verfügen sie ja nur in der Slowakei, aber nicht in Österreich über ein verpfändbares Vermögen.

Trotzdem sind es fast ausschließlich Slowaken, denen Rahimic' Firma Euroimmobilien Grundstücke und Wohnhäuser verkaufen kann. Ein neuer Trend ist, dass sie sich stärker für Gemeinden wie Gattendorf oder Deutsch-Jahrndorf interessieren und damit weitere Wege nach Bratislava in Kauf nehmen.

Denn in unmittelbarer Grenznähe verlangten Immobilienbesitzer im Wissen um das slowakische Interesse schon fast unverschämte Preise. Ein anderer neuer Trend ist laut Rahimic auch, dass nicht mehr nur Besserverdienende kommen, sondern auch Angehörige der Mittelschicht, die sich etwa in Reihenhäuser und Genossenschaftsbauten einkaufen.

Gewerbe profitiert

Im niederösterreichischen Wolfsthal setzt Bürgermeister Gerhard Schödinger auf das Potenzial, das sich aus dem Zusammenwachsen mit Bratislava ergibt. Wolfsthal war vor dem Fall des Eisernen Vorhangs ein Grenzort ohne Perspektive und mit kontinuierlich sinkender Bevölkerungszahl. Dank des Zuzugs junger Familien wächst Wolfsthal jetzt wieder.

Die Skepsis der Alteingesessenen schwächte sich dadurch ab, dass sich Gewerbebetrieben plötzlich völlig neue Geschäftsmöglichkeiten bieten: Vom grenzüberschreitend agierenden Metallverarbeitungsbetrieb bis zum Bauern, der täglich seine Milch nach Bratislava liefert, profitieren die Niederösterreicher jetzt vom viel größeren Markt auf der anderen Seite der Grenze.

AUF EINEN BLICK

Österreichs Grenzregiongegenüber von Bratislava, in Niederösterreich und im Burgenland, hat von der Öffnung der Grenzen 1989 besonders profitiert. Eine kaufkräftige Mittelschicht aus der slowakischen Hauptstadt belebt im Umland den Konsum, kauft Immobilien und lässt ihre Kinder in österreichischen Schulen ausbilden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2009)

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