EU droht Polen mit Entzug des Stimmrechts

APA/AFP/ADAM CHELSTOWSKI
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Die geplante Justizreform habe schwere Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz, sagt die Kommission und kündigt ein Vertragsverletzungsverfahren an. Polen hat ein Monat Zeit zur Behebung.

Im Streit um die polnische Justizreform hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau angekündigt. Es wird eingeleitet, sobald das verabschiedete Gesetz zur Neuordnung der Gerichte veröffentlicht wird. Sollte die Regierung die darin enthaltenen Regelungen nutzen, um Höchstrichter über eine Zwangspensionierung abzusetzen, will Brüssel noch weiter gehen: Dann werde automatisch ein Verfahren zum Stimmrechtsentzug eingeleitet, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit.

Warschau habe ein Monat Zeit, die "schweren negativen Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz" zu beheben, erklärte der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans in Brüssel. Die Kommission habe ihre rechtliche Analyse über die Reformvorhaben  abgeschlossen. Es sei zwar zu begrüßen, dass der polnische Präsident gegen zwei der drei Gesetze sein Veto eingelegt habe. Aber trotzdem habe Brüssel eine dritte Empfehlung an Warschau geschickt.

Duda hatte den dritten Teil des Justizumbaus der PiS-Regierung in seinem Veto am Montag nicht beanstandet. Der Justizminister ist den Behörden für seine Personalentscheidungen damit künftig keinerlei Rechenschaft schuldig. Er muss nicht mehr die Vollversammlung der polnischen Richter konsultieren oder im Falle einer Ablehnung durch dieses Gremium den Landesrichterrat befragen. "Jeder polnische Bürger hat Recht auf einen unabhängigen Richter, der nicht aufgrund des Anrufs eines Ministers oder einer Partei entscheidet", meinte Timmermans.

Der Vizepräsident kritisierte vor allem die mögliche Zwangspensionierung von Richtern. "Wenn das der Fall ist, kann der Artikel 7 sofort ausgelöst werden." Auch die Unterschiedlichkeit des Pensionsalters von Frauen und Männern im Justizbereich verstoße gegen den EU-Vertrag.

Die Kommission "hat nichts dagegen, wenn ein Land sein Justizsystem reformiert. Aber das muss zumindest unter Einhaltung der polnischen Verfassung und der internationalen Verpflichtungen geschehen".

Polnische Regierung ortet "Erpressung"

Die polnische Regierung kritisierte Maßnahmen der EU-Kommission scharf. "Wir werden Erpressung vonseiten EU-Beamter nicht akzeptieren", sagte Regierungssprecher Rafal Bochenek am Mittwoch.

"Alle Gesetzentwürfe, die von Polens Parlament vorbereitet werden, entsprechen der Verfassung und demokratischen Grundsätzen", verteidigte er die umstrittenen Justizreformen.

PiS soll Präsident Ultimatum gestellt haben

Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda steht aber nicht nur von der EU unter Druck. Er sei von der Regierung gedrängt worden, die beiden umstrittenen Gesetze über das Oberste Gericht und den Landesrichterrat doch noch zu unterzeichnen. Unmittelbar nachdem Duda am Montag im Fernsehen sein Veto angekündigt hatte, hätten ihn Regierungschefin Beata Szydlo und die Vorsitzenden beider Parlamentskammern aufgesucht, berichtete die polnische Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Newsweek" am Mittwoch.

"Jarek (PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski) gibt dir eine Stunde, um deine Entscheidung zu ändern", sagte demnach Sejmmarschall Marek Kuchcinski. Alle drei Besucher bei Duda gehören der allein regierenden, nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Jaroslaw Kaczynski an. Formal war zu diesem Zeitpunkt ein Rückzieher noch möglich, weil Duda die Gesetze noch nicht zurück in den Sejm, das Unterhaus des Parlaments, geschickt hatte. Ein Rückzieher hätte jedoch einen erheblichen Gesichtsverlust für das Staatsoberhaupt bedeutet.

(APA)

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