Kontrollmangel: Steuermilliarde ins Ausland geflossen

Briefkasten eines Finanzamtes
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Das Grazer Finanzamt hat von 2003 bis 2007 rund 4,6 Milliarden Euro an Vorsteuer an ausländische Unternehmen überwiesen. Eine Milliarde davon aber ohne "risikoadäquate Kontrollen", wie der Rechnungshof feststellt.

Das sogenannte Mehrwertsteuer-Karussel dreht sich in Österreich munter weiter. Der Rechnungshof (RH) kritisiert in einem Bericht, dass das Finanzamt Graz-Stadt, das in Österreich für die Erstattung von Mehrwertsteuerguthaben an ausländische Firmen zuständig ist, nicht entsprechend kontrollieren kann. 2007 und 2008 sei daher "rund eine Milliarden Euro ohne risikoadäquate Kontrollen ausbezahlt" worden, heißt es in dem Rechnungshofbericht. Zwischen 2003 und 2007 hat das Finanzamt Graz-Stadt in Summe rund 4,6 Milliarden Euro an Umsatzsteuerguthaben an ausländische Unternehmen überwiesen - etwa fünf Prozent des gesamten Ust-Aufkommens.

Umsatzsteuer für Ausländer

Ausländische Unternehmer, die im Inland Umsätze tätigen, sind verpflichtet, diese im Wege monatlicher Umsatzsteuer–Voranmeldungen sowie einer Jahreserklärung dem Finanzamt Graz–Stadt bekanntzugeben und die darauf entfallende Umsatzsteuer zu entrichten. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug steht grundsätzlich zu. Das Finanzamt Graz–Stadt führt in diesen Fällen ein Veranlagungsverfahren durch.

Mehr Arbeit, weniger Personal

Während in den fünf Jahren die Zahl der erledigten Anträge um rund 81 Prozent auf 56817 und die überwiesenen Summen um rund 38 Prozent stiegen, sank die Zahl der Beschäftigten um etwa ein Fünftel auf 24. "Auf einen Mitarbeiter entfielen 2008 3,5 Mal so viele Erledigungen wie 2003, stellen die RH-Prüfer fest.

In 90 Prozent der Fälle geht es um Kleinbeträge, bei denen etwa ein Speditionsbetrieb die Tankrechnungen der Lkw-Lenker zum Vorsteuerabzug einreichen. Der Rest sind Umsatzsteuer-Rückforderungen von Firmen (z. T. konzernintern), die zwar in Österreich nicht ansässig sind, aber Geschäfte machen. Hier sind die Beträge und auch die Missbrauchsgefahr deutlich größer.

Steuernummern ohne Prüfung

Gerade Firmen, die erstmals einen Antrag stellten, erhielten "wiederholt" Steuernummern, "ohne Vorliegen der Voraussetzungen", so die Prüfer. Notwendige ausländischen Dokumente lägen nicht selten nur in der Originalsprache vor und dem Finanzamt sei es nicht möglich, deren Echtheit mit vertretbarem Aufwand zu prüfen. Ab 2010 entfällt ein Teil dieser Checks, weil die Herkunftsländer der Firmen dies selbst machen müssen.

2007 wurden von 5584 erledigten Fällen von Auslandsfirmen, die in Österreich Umsätze machen (Veranlagungsverfahren), mit einer Rücküberweisung von 685 Millionen Euro nur 30 "aufgrund risikoadäquater Kriterien ausgewählt und kontrolliert". Zwischen Jänner und September 2008 waren es von 8.085 Fällen mit 374 Millionen Euro Rücküberweisung.

100 Milliarden Euro Schaden in Europa

100 Milliarden Euro Schaden verursacht innergemeinschaftlicher Umsatzsteuerbetrug oder - im englischen Fachterminus - Missing Trader Intra Community Fraud (MTIC) jedes Jahr. Das geht aus einer Schätzung der europäischen Polizeibehörde Europol hervor.

Der Trick mit den Fristen

Das Prinzip ist denkbar einfach und macht sich zwei Besonderheiten des Mehrwert- oder Umsatzsteuerrechts in der EU zunutze. Einerseits fällt die Umsatzsteuer bei Warenlieferungen von einem EU-Staat in einen anderen de facto weg. Sehr wohl aber wird sie bei Geschäften innerhalb eines Landes fällig. Andererseits hat man beim Abführen der Steuer eine bestimmte Frist, nämlich drei Monate für die Steuererklärung und ein weiteres für die Bezahlung zur Verfügung. Selbst bekommt ein Käufer, der Mehrwertsteuer entrichtet hat, dieses Geld aber am Ende jenes Monats von der Finanz zurück, in dem das Geschäft getätigt wurde - der sogenannte Vorsteuerabzug. Betrüger machen sich exakt diese Zeitverzögerung zu Nutze.

Ein Beispiel:

  1. Firma A aus einem EU-Staat verkauft Waren im Wert von einer Million Euro an das Unternehmen B in einem zweiten EU-Staat. Diese "innergemeinschaftliche Lieferung" ist Ust-frei
  2. B verkauft nun weiter an C und berechnet wegen der 20-prozentigen Mehrwertsteuer 1,2 Millionen Euro dafür
  3. Die 200.000 Euro mehr müsste B innerhalb einer bestimmten Frist an sein Finanzamt abführen. Hingegen bekommt C die Mehrwertsteuer sofort rückerstattet.
  4. Anstatt zu zahlen verschwindet B aber (daher auch der Begriff "Missing Trader") --> der Staat wurde um 200.000 Euro betrogen.
  5. C verkauft unterdessen die Ware steuerneutral zurück an die Firma A.

Das Besondere an dieser Betrugsform ist, dass sie sich wie in einem Karussell nahezu beliebig wiederholen lässt, daher auch der Name Karussellgeschäft oder -betrug. Nicht einberechnet wurden natürlich auch allfällige Maßnahmen zur Verschleierung der Konstruktion, etwa das Verlangen höherer Preise, um einen Gewinn auszuweisen.

(Ag./Red)

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