Viele Organisationen, die im Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten, unterzeichnen den italienischen Kodex nicht. Besonders zwei Punkte sind etwa für "Ärzte ohne Grenzen" nicht akzeptabel.
Rom droht Nichtregierungsorganisationen, die den Verhaltenskodex für Einsätze zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer nicht unterzeichnet haben, mit Konsequenzen. "Diese NGOs stellen sich automatisch außerhalb des organisierten Rettungssystems im Mittelmeer mit allen Konsequenzen für ihre Sicherheit", erklärte das Innenministerium in einer Presseaussendung.
Der Verhaltenskodex aus 13 Punkten wurde von "Moas" und "Save the Children" unterzeichnet. "Proactiva Open Arms" signalisierte seine Bereitschaft, den Regelkatalog zu unterschreiben. "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) richtete einen Brief an Innenminister Marco Minniti, in dem hervorgehoben wurde, dass die Organisation aus Rücksicht auf humanitäre Prinzipien der "Unabhängigkeit und der Neutralität" den Verhaltenskodex nicht unterzeichnen werde. Mehrere der Verpflichtungen würden zu einem Rückgang von Effizienz und Kapazität der derzeitigen Such- und Rettungseinsätze führen, argumentieren MSF in einer Aussendung.
Besonders in der Kritik: Dass Schiffe Überlebende an einem sicheren Ort von Bord gehen lassen müssen, anstatt sie an andere Schiffe zu übergeben. Das seien "unnötige Limitationen der derzeit zur Verfügung stehenden Mittel" und würde zu einer Zunahme der Todesfälle durch Ertrinken führen, da weniger Schiffe in der Gefahrenzone unterwegs sein könnten, wenn sie bis zum nächsten Anleger fahren müssten.
Auch gegen die Anwesenheit bewaffneter Polizisten an Bord sträubt sich die Hilfsorganisation. Dies stelle einen Bruch der fundamentalen humanitären Prinzipien der Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit dar, heißt es in der Aussendung. Man betont aber, die Rettungseinsätze weiterhin unter der Koordination der Leitstelle für Seenotrettung in Rom durchführen zu wollen - in Übereinstimmung mit allen internationalen Gesetzen und dem Seerecht.
Innenminister bedauert Uneinigkeit
An dem Treffen im Innenministerium in Rom am Montagnachmittag hatten die NGOs "Sea Watch", "Sea Eye" und "SOS Meditérranée" nicht teilgenommen. Die deutsche Organisation "Jugend Rettet" war zwar bei dem Treffen anwesend, unterzeichnete den Verhaltenskatalog aber nicht.
Der Innenminister erklärte, er bedauere, dass es nicht zu einer Einigung über die Verhaltensregeln gekommen sei. Diese hätten den NGOs erlaubt, Teil eines "institutionellen Systems zur Flüchtlingsrettung" zu sein, mit dem Ziel, Migranten aufzunehmen und den Menschenhandel zu bekämpfen. Der Verhaltenskodex sei keineswegs als Einmischung in die humanitären Aktivitäten der NGOs im Mittelmeer gedacht.
Kritik der Opposition
Oppositionsparteien werfen dem Kabinett um Premier Gentiloni vor, zu nachgiebig mit den humanitären Organisationen umzugehen. "Die Arroganz der NGOs ermutigt die Menschenhändler, noch mehr Migranten nach Italien zu bringen. Damit wächst die Gefahr neuer Tragödien im Mittelmeer. Unter dem Vorwand ihrer Autonomie und humanitärer Zwecke entziehen sich die NGOs einer loyalen Zusammenarbeit, die bei der Transparenz ihrer Bilanzen beginnen sollte", kommentierte der Fraktionschef der rechtskonservativen Forza Italia in der Abgeordnetenkammer, Maurizio Gasparri.
"Der Verhaltenskodex der Regierung ist gescheitert. Ein Gesetz zur Regelung der humanitären Einsätze ist dringend notwendig", forderte Beppe Grillo, Gründer der europakritischen Fünf-Sterne-Bewegung. Die ausländerfeindliche Lega Nord forderte die italienische Regierung zur Konfiszierung der Schiffe der NGOs, die den Verhaltenskodex nicht unterzeichnet haben.
Seit vergangener Woche verhandelten die NGOs mit der Regierung in Rom über das Dokument. Am Montag war die Frist für die Unterzeichnung abgelaufen. Das Engagement der privaten Helfer war in den vergangenen Monaten immer wieder kritisiert worden, weil Einsätze immer näher an der libyschen Küste stattfinden und ihr Engagement angeblich immer mehr Flüchtlinge anzieht.
Nur im äußersten Notfall sollen die Schiffe der Hilfsorganisationen in libysche Hoheitsgewässer eindringen, heißt es im Verhaltenskodex. Dieser verpflichtet NGOs, Ortungsgeräte abzustellen. Außerdem sollen die NGOs den Behörden ihre Finanzierung offenlegen.
(APA/Red.)