Leitartikel

Die drei Schuldigen an der dicken Luft in Europas Großstädten

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Ja, Autokonzerne haben beim Diesel gelogen und betrogen. Ja, die Politik hat hier bewusst zur Seite geschaut. Verantwortung tragen aber auch die Kunden.

Es war vor allem eine große Show, die von Politik und Autokonzernen am Mittwoch in Berlin aufgeführt wurde. Der groß angekündigte Dieselgipfel brachte wie erwartet jenen Minimalkompromiss, der bereits davor erwartet worden war. Fünf Millionen deutsche Autos sollen per Software-Update sauberer gemacht werden. Gut die Hälfte davon stammt ohnehin von VW und musste bereits verpflichtend in die Werkstätten zurückgerufen werden. Konkrete Maßnahmen für andere betroffene Länder – wie Österreich – gibt es noch nicht. Und auch die angekündigte „Umstiegsprämie“ für die Kunden müsse erst im Detail verhandelt werden. Man sieht: Auch Deutschland steckt mitten im Wahlkampf, bei dem es vor allem um flotte Ansagen und gute TV-Bilder geht.

Die Autokonzerne sind also billig davongekommen – in einem Skandal, in dem sie vorsätzlich Schuld auf sich geladen haben. So wurden ja nicht nur Abgasanlagen manipuliert, sondern auch mutmaßlich gegen das Kartellrecht verstoßende Absprachen getroffen. In einem Mail schrieben Manager etwa, dass die Manipulationen „zumindest schwer nachweisbar“ seien, wie der „Spiegel“ jüngst berichtete. Das klingt nicht danach, als ob hier jemand in irgendetwas hineingestolpert wäre.

Das Verhalten der Konzerne ist dabei zwar durchaus unterschiedlich gewesen. BMW etwa investierte rund 1000 Euro pro Fahrzeug in aufwendigere Systeme als die Konkurrenz, weshalb die Probleme dort zumindest geringer waren. In Summe ist die Industrie aber der Hauptschuldige der Causa, die nun – man kann es glauben oder nicht – durch einfache Software-Updates ohne Nebenwirkungen gelöst werden kann. Stimmt das, stellt sich jedenfalls sofort eine andere Frage: Warum werden solche Updates nicht von vornherein in regelmäßigen Abständen gemacht?

Ebenfalls Schuld trifft die Politik. Sie hat lang weggesehen und die immer wieder aufgetauchten Indizien geflissentlich ignoriert. Es ist kein Zufall, dass der Skandal just in den USA aufgedeckt wurde, wo die schützende Hand der Politik nicht mehr vorhanden war. Zudem hat die Politik in Europa auch falsche Anreize gesetzt – durch den zu eingeschränkten Fokus auf CO2. Dieses ungiftige Gas entsteht bei jeglicher Verbrennung (also auch im menschlichen Körper), beschleunigt allerdings den Klimawandel. Ein wichtiges Thema, keine Frage, aber eben nicht das einzige. Denn CO2 und die giftigen Stickoxide verhalten sich wie kommunzierende Gefäße. Senkt man das eine, steigt das andere. Wie ein BMW-Vorstand jüngst in der „Süddeutschen“ erklärt hat, werden die Abgaswerte in den USA erfüllt, weil man dort einen höheren CO2-Ausstoß akzeptiere. Salopp gesagt, schauen die Amerikaner mehr auf ihre Luftqualität und stellen dafür den Klimawandel hintan. In Europa sorgt man sich lieber um den Klimawandel und kümmert sich weniger um die Luft in Großstädten.


Am Ende bleibt aber noch der dritte Schuldige: der Autofahrer selbst – also wir alle. Seit 1990 hat sich die Pkw-Fahrleistung in Österreich um mehr als ein Drittel auf knapp 80 Milliarden Personenkilometer erhöht. Sie ist damit deutlich stärker gestiegen, als die Bevölkerung im gleichen Zeitraum zugenommen hat. Hinzu kommt, dass die Autos dabei auch immer größer und schwerer wurden. Zum Teil war die erhöhte Sicherheit dafür der Grund, zum Teil auch Modetrends wie SUVs. Und wer sich jeden Tag mit zwei Tonnen durch die Großstadt staut, braucht sich nicht zu wundern, dass Abgase zum Problem werden. Eigenverantwortung bedeutet schließlich auch, dass man sich der Folgen des Handelns bewusst ist, selbst wenn diese einen gar nicht direkt treffen.

Mobilität ist essenziell für die menschliche Entwicklung. Daher haben Fortbewegungsmittel – zuerst das Pferd, dann die Lokomotive, heute das Auto – auch immer eine besondere Bedeutung gehabt. Und diese Mobilität muss grundsätzlich auch erhalten bleiben. Die Frage ist aber, ob es dafür immer das Auto nach heutigem Verständnis sein muss. Denn das Versprechen der Industrie, dass sie alle Probleme ohne Verhaltensänderung durch Technik lösen kann, wurde durch den Abgasskandal gerade Lügen gestraft.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2017)

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