Depeche Mode: Ich und die Maschine

(c) APA (HERBERT PFARRHOFER)
  • Drucken

Die alten Synthie-Popper Depeche Mode feierten vor 15.000 Fans in der Wiener Stadthalle ein Heimspiel. Die wild klappernde Band bemühte sich redlich, die einstige revolutionäre Glut neu zu entfachen.

Industrie ist die härteste Strafe Gottes!“ stellte Joseph Roth in seinem hübsch desillusionierenden Roman „Hotel Savoy“ fest. Was hätte der Dichter aus Ostgalizien erst formuliert, wenn er geahnt hätte, dass ein paar Jahrzehnte später die mit Industrien einhergehende Ödnis und Lärmentwicklung die populäre Musik inspirieren wird? Die Genres Synthie-Pop und Industrial Rock setzen auf Ästhetisierung, zuweilen sogar Romantisierung von Arbeitsweltgeräuschen. Mittlerweile hat sich dieser Zug zum verstörenden Sound auch schon wieder überlebt. Was einst die Nerven zerrissen hätte, dient nun als Einschlafhilfe.

Wenn also Depeche Mode heute zu verzerrten Maschinensounds die Bühne betreten, dann hat das nichts mehr mit visionärer Klangsprache zu tun, weil aktuelle Technik vorzugsweise stumm funktioniert. Dennoch bedient sie gern auch die nostalgische Klientel. Wie digitale Fotoapparate, die das gute alte analoge Verschlussgeräusch simulieren. Wie das iPhone, das die beinah vergessenen Wählgeräusche der Bakelittelefone perfekt nachahmen kann. Ähnlich anachronistisch ist die frostige Maschinenästhetik von Depeche Mode, paradoxerweise liebt man sie gerade deshalb. Zumindest jener Teil der Achtzigerjahre-Generation, der sich an antiquierter Zukunftsgläubigkeit wärmt, um nicht über die harsche Gegenwart nachdenken zu müssen.

Leiden für die Engel

Mastermind Martin Gore und der charismatische Sänger Dave Gahan waren einst ausgezogen, um als furchtlose Ritter eine Art von Synthie-Pop zu etablieren, der nie mit dem Hedonismus der Tanzfläche liebäugelte, wiewohl viele ihrer Songs zu Bewegung animieren. Lieber wollten sie düstere Botschaften in den Äther schicken. Davon lassen sie in den letzten Jahren ab. So heulen auf ihrem aktuellen Album „Sounds Of The Universe“ zwar noch die Maschinen böse, aber Texte wie „Little Soul“ nähern sich an einigen Stellen überraschend dem an, was Nietzsche die „Kunst des metaphysischen Trostes“ nannte. „I have learned so much from god“, proklamierten sie per LED-Wand zum Song „Precious“. Der leidensfähige und vielleicht sogar ein wenig leidenssüchtige Sänger Gahan wirbelte durch die wuchtigen Beats und bot mit wirkungsvoll gepresster Stimme Hilfe selbst den Botschaftern Gottes an: „Angels with silver wings shouldn't know suffering, I wish I could take the pain for you.“

Von Qual war auch im wuchtig tönenden „Wrong“ die Rede: „There is something wrong in me chemically, something wrong with me inherently, the wrong mix in the wrong genes.“ Dazu tanzte die im Masochismus trainierte Gothicabteilung der versammelten Fanscharen besonders ausgelassen. Gahan brillierte beim selbst komponierten „Hole To Feed“ besonders. Seine Stimme strahlte da intensive Virilität aus. Anders der fragile, ab und zu ins Falsett strebende Gesang von Martin Gore, dessen Würze eindeutig geheimer ist.

Die wild klappernde Band bemühte sich redlich, die einstige revolutionäre Glut neu zu entfachen. Das prägnante Riff von „I Feel You“ löste Begeisterungsstürme aus, „Enjoy the Silence“ sogar Tanzwut. Die hintersinnige Prägnanz von „In Your Room“ und das maliziöse „It's No Good“ waren Highlights der subtilen Art. Und die stürmischen Versionen von „Behind the Wheel“ und „Personal Jesus“ lösten massives Gliederzucken aus. Ach, wie schön Synthie-Pop doch menscheln kann: „Reach out and touch me!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.