Widerstand einer Missbrauchten

Leidensgeschichte auf dem Land (von links): Bauer Georg (Jens Ole Schmieder), die „Untote“ (Doina Weber) und deren Tochter Anna (Petra Gstrein).
Leidensgeschichte auf dem Land (von links): Bauer Georg (Jens Ole Schmieder), die „Untote“ (Doina Weber) und deren Tochter Anna (Petra Gstrein).(c) Christian Mair
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Intendantin Anna Maria Krassnigg inszenierte am Thalhof ein hartes Stück Emanzipation nach einer Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach. Berührend intensiv.

Sind die Toten noch für eine Weile wie Lebendige zugegen, wenn in den Stunden vor dem Begräbnis die Aufgebahrten betrauert werden und sensible Seelen meinen, noch immer deren Energie zu spüren? In „Am Ende eines kleinen Dorfes“, am Freitag am Thalhof in Reichenau an der Rax uraufgeführt, wird dieses Gefühl poetisch zum Ausdruck gebracht.

Eine Verstorbene (Doina Weber), vor der ihre Tochter Anna (Petra Gstrein) in einem von zwei Gürteln zusammengehaltenen, langen schwarzen Kleid die Totenwache hält, richtet sich auf und fängt an, Erinnerungen zu kommentieren. Diese Untote hat Leichenblässe, ihre Füße und Hände sind mit Leinenbinden umwickelt wie bei einer Mumie. Ein Band soll verhindern, dass ihr Kiefer herunterkippt, doch sie beginnt zu reden – ironisch und auch verständnisvoll. Dieser Kunstgriff von Regisseurin Anna Maria Krassnigg ist durchaus effektvoll.

Brüchige Fensterrahmen, altes Glas

Die Intendantin von Salon 5 hat als Eröffnungspremiere für ihr Festival eine 123 Jahre alte, kurze Novelle auf die Bühne gebracht, Marie von Ebner-Eschenbachs „Die Totenwacht“. In der Dramatisierung übernimmt die Mutter als „Untote“ den Part der Erzählerin. Die ist wesentlich, denn sie vermittelt auch, warum die Tochter so verbittert ist. Das schlichte Bühnenbild (Lydia Hoffmann) verstärkt noch die Trostlosigkeit: Vom verfallenden, armseligen Hof der Toten sind nur wie zufällig platzierte Fenster zu sehen – brüchige Rahmen mit altem Glas. Flächendeckend liegt auf mehreren Stufen überall auf der Bühne Papier wie von Scherenschnitten, es stellt wohl Kälte dar. Dazwischen, wie apere Stellen, braune Schaffelle, bereit zur mühevollen Verarbeitung. Ein Spinnrad steht zentral im Raum. Und begleitend ticken die Uhren bei dieser leicht surrealen Totenwacht.

Hintergrund: Gewitter in den Bergen

Bei der Premiere spielt sogar die Natur stimmungsmäßig mit. Kurz vor Beginn setzt Regen ein, dann blitzt und donnert es in den Bergen über Reichenau, wie wenn die Regie beschlossen hätte, einen Weltuntergang zu bieten – den Bühnenhintergrund bildet eine Fensterfront, dort leuchtet es, als ob die Almen brennen.

Die Wacht der Tochter wird bald unterbrochen: Es klopft, ein Mann in schmucker Tracht taucht auf. Er will mittrauern. Um Worte verlegen ist dieser benachbarte, wohlhabende Bauer, der Huber Georg (Jens Ole Schmieder). Anna weist ihn wiederholt zurück. Ihre Mutter habe ihm doch am Ende vergeben, behauptet Georg. Das macht die Tochter noch wütender, sie wendet sich nun auch gegen die Mutter, die solle den Mann bei Gott verklagen. Der am Ende vergeblich um Anna werbende Bauer ist fast sprachlos – seine Erwiderungen auf die Feindseligkeiten klingen meist nur mehr wie beipflichtendes Grollen, Grunzen, Brummen. Was hat zu ihrer tiefen Abneigung geführt?

Bei Ebner-Eschenbach wird fast atemlos erzählt, stellenweise wirkt der dichte Text fast schon wie ein innerer Monolog. Georg und Anna haben eine in die Kindheit zurückreichende gemeinsame Geschichte: ein reicher Hoferbe, der das arme Nachbarmädchen quält. Die hatte ohnehin unter dem trunksüchtigen Vater (auch von Schmieder dargestellt) schwer zu leiden. Er versauft das Vermögen, verkauft den besten Acker an den Nachbarn. Vor dem Niedergang schützte auch der Fleiß der Frauen nicht.

An drei dieser Erinnerungen wird die Ungerechtigkeit der Welt besonders deutlich. Annas absolute Verhärtung hat tief liegende Gründe. Sie ist eine Erniedrigte, Beleidigte, Missbrauchte. Ebner-Eschenbach beweist viel Einfühlungsvermögen. Doch die Autorin lässt es nicht dabei bewenden, dass Anna bloß ein Opfer bleibt. Die hat das Zeug dazu, ihr Schicksal selbst zu bestimmen.

Anna wird zur starken Heldin

Das kommt auch in der Inszenierung deutlich heraus. Anna wird hier zur starken Heldin. Manchmal meint man, eine antike Rächerin zu sehen, so stolz und verhärmt, mit viel Pathos und auch Sentiment wird diese Rolle von Gstrein gespielt. Sie ist wirklich furios, wenn sie Gott und die Welt verflucht. Dagegen mögen die beiden Mitspieler manchmal etwas blass wirken, doch das ist dramaturgisch sicherlich gewollt, macht diesen Abend noch intensiver. Am Ende heißt es dann: loslassen! Lang anhaltender Applaus für eine packende Aufführung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2017)

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