Wiener Imam: "Wir brauchen kein Minarett"

Mosche Quellenstraße
Mosche Quellenstraße(c) Clemens Fabry
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Kuppel und Minarett prägen das klassische Bild einer Moschee. Doch die Mehrheit der Wiener Muslime betet in Räumlichkeiten, die sich hinter gewöhnlichen Fassaden verstecken - in Wohnungen, Werkstätten und Kellern.

Ein ganz gewöhnliches Zinshaus im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Zwei milchig verglaste Türen lassen ein Geschäftslokal vermuten. Doch der Eindruck täuscht. Hier ist der Eingang zu einem islamischen Gebetshaus. Ein Gebetshaus, wie es sie in Wien zuhauf gibt. Nur die Moschee am Hubertusdamm ist mit Minarett und Kuppel auch von außen als islamisches Gotteshaus erkennbar. Alle anderen befinden sich in Privatwohnungen, in alten Geschäftslokalen, Fabriken oder in Kellern – hinter ganz normalen Hausfassaden.

Schuhe ausziehen muss man hier trotzdem. Denn hinter der Fassade sieht es hier fast so aus wie in einer echten Moschee – orientalische Teppiche am Boden sowie eine Minbar, die Kanzel, von der der Imam seine Predigt hält. Im Norwegerpulli führt Imam Ihsan Kocyigit durch die verwinkelten Gänge, am Waschraum vorbei, wo der „abdest“ durchgeführt wird, die rituelle Waschung vor dem Gebet. Am Ende des Ganges befindet sich die 160 Quadratmeter große Gebetshalle mit schmucklosen Wänden.

Durch einen zweiten Gang gelangt man in die Frauenabteilung, in der drei Stockbetten und ein paar Matratzen aufeinandergestapelt am Rande stehen. Für die Jugendlichen. Im Raum git es auch einen Fernseher und eine Spielkonsole. An den Wochenenden treffen sich die Jungen hier, spielen Playstation und richten sich ein Matratzenlager ein. Der Begriff Gebetshaus täuscht – im Islam ist eine Moschee auch ein Ort der Begegnung, an dem gemeinsam diskutiert, gegessen und gefeiert wird.


Zaghafte Kontaktaufnahme. Seit 18 Jahren kommen türkische, bosnische und albanische Moslems in die Imam Azam Moschee nahe des Pratersterns. Anfangs gab es kaum Kontakte zu den Anrainern. Erst in den vergangenen Jahren haben beide Seiten den Dialog gesucht, wie beim „Tag der offenen Tür“ vor fünf Jahren. Damals kamen nur zwei Österreicher, sagt Murat Aslan, Jugendbeauftragter des Gebetshauses. Eine alte Dame aus dem gegenüberliegenden Gebäude war dabei. Sie habe immer schon wissen wollen, wie es drinnen aussieht. Seit ihrem ersten Besuch kommt sie regelmäßig vorbei, zum Teetrinken und Plaudern. Die anfängliche Skepsis wich schnell. Und auch beim jährlichen Straßenfest im Sommer, das die muslimische Gemeinschaft veranstaltet, nimmt mittlerweile fast das ganze Viertel teil.

„Natürlich wünschen wir uns ein bisschen mehr Luxus“, sagt Kocyigit. Allein, das nötige Geld fehlt, um sich ein bisschen mehr als diese Räumlichkeiten leisten zu können. Immerhin, dass sich die Gebetsräume in der Springergasse im Erdgeschoß befinden, sehen die Gemeindemitglieder schon als Fortschritt. Denn ihr erster Gebetsraum war noch im Keller untergebracht. So wie viele andere auch.

Billig mussten sie sein, und ihren Zweck erfüllen, die Moscheen der ersten Einwanderergeneration. Weil man nur auf Zeit bleiben wollte. Doch irgendwann wurde die Bindung zur neuen Heimat größer, die Rückkehr war kein Thema mehr. Damit wuchs auch der Wunsch, aus dem Kellerlokal auszuziehen und in würdigeren Räumen zu beten. Oder zumindest wurden die bestehenden Räume renoviert und den Ansprüchen angepasst.

Wie etwa im Süleymaniye Gebetshaus in der Favoritner Quellenstraße. Seit über 30 Jahren wird hier schon gebetet. Die ehemals feuchten Wände sind mittlerweile renoviert und mit Holzimitaten überzogen. Im Waschraum wurden Lüftungen installiert. Unten hat man es sich gemütlich eingerichtet. Im Fernsehen läuft türkische Musik, ein Mann kocht schwarzen Tee.

Für die muslimischen Migranten hat sich viel verändert. Auch finanziell geht es ihnen besser als vor dreißig Jahren. Ihre Gebetsräume mieten sie nicht nur, sie kaufen sie verstärkt auch– und renovieren sie ihren Anforderungen entsprechend.


Ein ganz normales Haus. Der Gebetsraum der Union Islamischer Kulturzentren in Österreich (UIKZ) etwa wurde 2004 modernisiert. In einer Seitengasse hinter dem Westbahnhof heißt es wieder Schuhe ausziehen, über orientalische Teppiche geht es in die Gebetshalle. Fliesen mit türkisen Ornamenten zieren den Raum. Zwei große Kronleuchter beleuchten die Gebetsnische mit sanftem Licht. Ein Gläubiger hat sich zwischen die Säulen auf den Teppich gekniet und verrichtet sein Gebet.

Doch so prachtvoll der Gebetsraum von innen auch sein mag, von außen ist er wieder nur ein ganz gewöhnliches Wiener Zinshaus. Repräsentative Bauten müssten im Exil nicht unbedingt sein, sagt UIKZ-Leiter Ali Yilmaz und führt zum Gästezimmer. Man passe sich eben der Umgebung an. Nachsatz: „Wir brauchen auch kein Minarett.“

Das Minarett ist ein symbolischer Zubau von Moscheen. Der Koran kennt es noch nicht, doch mit der Zeit ist der Turm ein wichtiger Bestandteil islamischer Gotteshäuser geworden. In muslimisch geprägten Ländern ruft von hier der Muezzin zum Gebet – meist allerdings über Tonband. Nicht so in Wien.

Kein Ruf zum Gebet. „Hier muss man nicht zum Gebet rufen“, sagt Yilmaz. Die Gläubigen kommen ohnehin, wann immer sie Zeit haben. Sie sitzen auf den Teppichen, beten, diskutieren, essen gemeinsam – ganz genau so, wie es auch in orientalischen Moscheen geschieht. Mit einem Unterschied: Wenn sie die Räume wieder verlassen, leuchtet hinter ihnen keine Kuppel in der Sonne, reckt sich kein Minarett in den Himmel. Und ihr Heimweg beginnt in einer ganz normalen Wiener Wohnstraße.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2009)

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