Muslime: Herkunft prägt Werte

(c) Stanislav Jenis
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Eine Studie zu muslimischen Gruppen in Österreich sieht – je nach Herkunft – große Unterschiede beim Wertegerüst. Als besonders gläubig bezeichnen sich Flüchtlinge aus Somalia und Tschetschenien.

Wie denken in Österreich lebende Muslime über Religion, Politik, Familie und Gesellschaft? Eine verallgemeinernde Frage, deren Beantwortung Politikwissenschaftler Peter Filzmaier zufolge ebenso „unsinnig“ wäre wie pauschale Aussagen über „Frauen“ oder „Jugendliche“. Daher hat er sich in einer aktuellen Studie – durchgeführt von der Donau-Universität Krems im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) – auf einzelne muslimische Gruppen konzentriert.

Konkret auf Muslime mit türkischem und bosnischem Migrationshintergrund sowie auf muslimische Flüchtlinge aus den Ländern Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Somalia, Tschetschenien. Befragt wurden in sechs Sprachen rund 1100 Männer und Frauen ab 16 Jahren – nach dem Schneeballsystem. Das bedeutet, dass einige Personen, die in diese Zielgruppe fallen, um weitere Kontakte gebeten wurden. Die Studie ist daher nicht repräsentativ und lässt keine generellen Schlüsse zu, sondern zeigt Trends und Tendenzen. Diese sind aber umso aufschlussreicher und gewähren tiefe Einblicke in die Lebensrealität von muslimischen Communitys.

Starke Unterschiede zwischen den verschiedenen Nationalitäten

Als die mit Abstand gläubigsten Muslime bezeichnen sich Flüchtlinge aus Somalia. Auf die Frage „Sind Sie gläubig?“ antworten 69 Prozent der Befragten mit „Ja, sehr gläubig“ und weitere 24 Prozent mit „Ja, eher gläubig“. Gefolgt von Tschetschenen (50 bzw. 39 Prozent), Syrern (32 bzw. 49 Prozent), Türken (37 bzw. 41 Prozent) und Afghanen (20 bzw. 50Prozent). Interessant: Türken der zweiten Generation (also in Österreich geborene) sehen sich als deutlich weniger gläubig als die erste Generation. Hier gaben 28 Prozent an, „sehr“ gläubig zu sein, 38 Prozent bezeichnen sich als „eher“ gläubig.

In Summe also 66 Prozent. Diese Zahl ist insofern interessant, als bei einer ähnlichen Befragung unter Katholiken 2014 eine Zahl herausgekommen ist, die nicht weit darunter liegt. 50 Prozent gaben damals an, „sehr“ (20 Prozent) oder „eher“ gläubig zu sein.

Verankerung der Religion in Politik und Gesellschaft erwünscht

Bei der Frage, ob der Islam in der Gesellschaft eine starke Rolle spielen soll, gibt es die meiste Zustimmung unter Somaliern (61 Prozent stimmen „sehr“ zu) und Tschetschenen (33 Prozent), gefolgt von Türken mit 20 Prozent. Dass die österreichischen Gesetze und Vorschriften (im Gegensatz zu islamischen Rechtsvorschriften) für Muslime angemessen sind, finden lediglich 36 Prozent der Afghanen. Mehr als die Hälfte der Befragten sind unter Somaliern (51 Prozent), Tschetschenen (54Prozent), Türken und Syrern (jeweils 63 Prozent) dieser Meinung. Diese Ergebnisse sind für den Staat besonders relevant, da sie nicht nur die Privatsphäre der Muslime betreffen, sondern Rückschlüsse auf das Verhältnis der Befragten zum Rechtsstaat zulassen.

Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch die Frage, ob es verboten sein sollte, sich öffentlich über den Islam lustig zu machen (allerdings bezieht sich diese Frage nicht auf ein gesetzliches Verbot, sondern darauf, ob es gesellschaftlich akzeptiert sein sollte). 70 Prozent der Somalier, 62 Prozent der Afghanen und Syrer, 61Prozent der Tschetschenen und 59 Prozent der Türken plädieren „sehr“ für ein solches Verbot.

Extreme bzw. radikale Tendenzen nicht zu leugnen

Gestellt wurden auch „bewusst harte, polarisierende“ Fragen, wie es Filzmaier formuliert. Etwa die Frage nach der Bereitschaft, für seinen Glauben zu sterben. „Bedenkliche“, so Filzmaier, 30 Prozent der Somalier beantworten diese Frage mit „Ja, auf jeden Fall“. Gefolgt von Türken und Tschetschenen mit acht und Syrern mit sieben Prozent. Bei der Aussage „Frauen sollten auf jeden Fall als Jungfrau in die Ehe gehen“ gab es besonders unter Tschetschenen, Somaliern, Türken und Afghanen (in dieser Reihenfolge) hohe Zustimmungswerte. Allerdings variieren hier die Antworten von sehr Gläubigen und weniger Gläubigen ziemlich stark.

Knapp die Hälfte der Türken und Afghanen sind der Meinung, wegen ihrer Religion benachteiligt zu werden. „Je gläubiger, desto stärker ist das Gefühl der Benachteiligung“, sagt Filzmaier. Diese Gruppe dürfe nicht vernachlässigt werden, weshalb beispielsweise Wertekurse sehr wichtig seien. Oder der Einfluss des Staates auf die Imamausbildung. Die Bedeutung von verpflichtenden Wertekursen betont auch ÖIF-Geschäftsführer Franz Wolf – mit entsprechenden Sanktionen bei Nichtinanspruchnahme.

Auch das politisch intensiv diskutierte Thema Verschleierung wurde abgefragt. Lediglich Somalier sind mehrheitlich (61 Prozent) der Meinung, dass jede Muslimin ein Kopftuch tragen soll. Insgesamt sind 43 Prozent der befragten Männer und 54 Prozent der Frauen der Ansicht, dass ein Kopftuch nur auf eigenen Wunsch getragen werden soll. Einen Kopftuchzwang befürworteten beide Geschlechter mit jeweils 16 Prozent.

Antisemitismus stark ausgeprägt – nicht nur unter Muslimen

„Juden haben zu viel Macht auf der Welt.“ Dieser Aussage stimmen 34 Prozent der Syrer „sehr“ zu. Unter Somaliern sind es 32 Prozent, Türken 26 und Afghanen 25 Prozent. Dass Antisemitismus nicht nur in muslimischen Gruppen weitverbreitet ist, zeigt eine entsprechende Befragung unter allen Österreichern aus dem Jahr 2014. Mit dem Ergebnis, dass diesem Satz ebenfalls rund ein Drittel der Bevölkerung zustimmte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2017)

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