Ein neuer Kalter Krieg? In Ost und West nichts Neues

Anlässlich des Ukrainekonflikts wuchs die Angst vor einem neuen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen. Eine abermalige Aufteilung in Blöcke käme aber einer Karikatur des alten Kalten Krieges gleich, stellt Heinz Gärtner in seiner Analyse fest – was Russland vielleicht sogar recht wäre.

Der Kalte Krieg war kein Krieg, auf den wissenschaftliche Kriegsdefinitionen zutreffen würden, er war eine journalistische und politische Kreation“, schreibt Heinz Gärtner. Inhaltlich war diese Kreation, die das Verhältnis zwischen „Ostblock“und Westmächten von 1947 bis zur Auflösung des Warschauer Pakts und dem Ende der Sowjetunion 1989 beschreibt, von enormer Brisanz. Denn ein Charakteristikum des Kalten Krieges war die wechselseitige nukleare Abschreckung der beiden Machtblöcke. Das „Gleichgewicht des Schreckens“ sollte verhindern, dass aus dem Kalten ein „Heißer Krieg“ wird. Auf dem Höhepunkt des atomaren Wettrüstens besaßen die USA und dieSowjetunion zusammen rund 70.000 Atomsprengköpfe und waren damit in der Lage, einander – und die gesamte Welt – mehrfach zu vernichten. Dieser Status wurde unter dem Kürzel MAD (englisch, verrückt) zusammengefasst: MAD stand aber für Mutual Assured Destruction, also gegenseitige vollständige Vernichtung.

Einige Male stand die Welt knapp vor einem Nuklearschlag, wie bei der Kuba-Krise 1962, und immer wieder wurde das Gleichgewicht des Schreckens durch Konflikte auf die Probe gestellt. Die Kapitel Kriege und Krisen erinnern daran, dass es nur in Europa einen (prekären) Frieden gab, in Asien (Korea, Vietnam) und Afrika jedoch eine Reihe von Kriegen, dazu Stellvertreterkriege in Afrika, Lateinamerika, im Nahen Osten. Das Beispiel Afghanistan mit der sowjetischen Intervention und der Unterstützung der Mudschahedin durch die USA und ihren späteren Aktionen gegen die Taliban führt drastisch vor Augen, dass die Wurzeln des heutigen Bürgerkrieges und der damit verbundenen Fluchtbewegung aus Afghanistan ebenfalls im Kalten Krieg liegen.

Weshalb es nicht zum Nuklearkrieg kam,wird unterschiedlich interpretiert. Weder lasse sich mit absoluter Sicherheit sagen, ob das Abschreckungskonzept tatsächlich gewirkt habe, noch lasse sich belegen, welche Faktoren das Ausbleiben eines nuklearen Schlagabtauschs letztlich bedingt hätten, so die Schlussfolgerung des Autors.

Der Begriff Kalter Krieg wurde erstmals1945 von George Orwell verwendet: in seinem Essay „You And the Atomic Bomb“. Wann er begonnen hat, ist Interpretationssache. Im Allgemeinen gilt die sogenannte Truman-Doktrin als Ende der amerikanischen Kriegskoalition mit der Sowjetunion und als Anfang des Kalten Krieges. Am 12. März 1947 verkündete US-Präsident Harry Truman vor dem US-Kongress den außenpolitischen Grundsatz der USA, freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder äußeren Druck widersetzen. Eine Rede des früheren britischen Premiers Winston Churchill in Fulton im März 1946 könne als öffentlich angekündigter Beginn des Kalten Krieges gewertet werden, so Heinz Gärtner. Darin bezeichnete Churchill die Sowjetunion als tödliche Gefahr für die freie Welt und forderte, dass im Osten eine Front durch die Armeen der Demokratien errichtet werde. Nachdem die Sowjetunion 1949 die Atombombe entwickelt hatte, verloren die USA ihr Monopol auf Nuklearwaffen, und das Wettrüsten setzte voll ein.

Nicht alle Staaten waren bekanntlich den Blöcken zuzurechnen. Ein spannendes Kapitel ist Neutralität und Blockfreiheit gewidmet. Die Neutralität werde oft als Kind des Kalten Krieges bezeichnet, doch diese Annahme sei historisch und politisch nicht zutreffend: „Politisch betrachtet war Neutralität nicht Teil des Kalten Krieges, sondern dessen Anomalie.“ So ist die Neutralität Finnlands, Österreichs, der Schweiz und Schwedens nicht im Kalten Krieg begründet. Die österreichische Neutralität wird trotzdem oft mit dem Kalten Krieg assoziiert,wohl wegen der Außenpolitik: Kreisky forcierte eine „aktive Neutralitätspolitik“ mit der Unterstützung des Entspannungsprozesses zwischen Ost und West und im Nord-Süd-Konflikt (Vorschlag eines Marshall-Plans für die Dritte Welt). Österreich war im Kalten Krieg Platz der Begegnung für die Vertreter der USA und der Sowjetunion; Österreich war in der Gruppe der Neutralen und Blockfreien innerhalb der KSZE ein wichtiger Faktor. Heute spielt die österreichische Neutralität im öffentlichen Diskurs so gut wie keine Rolle mehr und habe sich, so Gärtner, als erstaunlich flexibel und anpassungsfähig erwiesen.

Die Idee zum Buch kam vom Marix Verlag, der mit seiner Reihe „marixwissen“ Themen humanistischer Allgemeinbildung populärwissenschaftlich behandelt und diesem Bildungsauftrag nicht nur durch ein spannendes Stück Zeitgeschichte, sondern auch durch einen Preis von nur sechs Euro gerecht wird. Dass Heinz Gärtner als Autor gewählt wurde, liegt auf der Hand – hat der emeritierte Professor für Politikwissenschaft und international renommierte Sicherheitsexperte doch zahlreiche Bücher zu europäischen und internationalen Sicherheitsfragen sowie zur politischen Analyse der USA veröffentlicht.

Unmittelbarer Anlass für den vorliegenden Band waren der Ukraine-Konflikt und die Diskussion darüber, ob das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland zu einem neuen Krieg führen könnte. Darauf nimmt der Epilog Bezug, mit der Feststellung, eine Neuauflage der bipolaren Welt der Blöcke könne nur eine Karikatur des Kalten Krieges sein, obgleich genau dies möglicherweise im Interesse des russischen Präsidenten liege. Auch der Ukraine-Konflikt, der syrische Bürgerkrieg oder die Spannungen mit Nordkorea belegen, dass die im Kalten Krieg geschaffenen Verhältnisse die Welt bis heute prägen. Zu den Kontinuitäten gehört auch die Tatsache, dass es nach wie vor neun Atommächte auf der Welt gibt und dazu Staaten, in denen Programme zum Bau von Atomwaffen vermutet werden. Russland und die USA haben ein Potenzial von bis zu 20.000 Nuklearwaffen. ■

Heinz Gärtner

Der Kalte Krieg

256 S., geb., € 6 (Marix, Wiesbaden)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2017)

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