Wahre und falsche Patrioten

Eva Rossmanns „Patrioten“ ist kein klassischer Krimi.
Eva Rossmanns „Patrioten“ ist kein klassischer Krimi.(c) Barbara Pacejka
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Komplexes Thema, neue Protagonisten, überraschender künstlerischer Zugang: Eva Rossmann hat in ihrem Roman „Patrioten“ ein Experiment gewagt. Es ist gelungen.

Eva Rossmann hat sich etwas getraut. Vordergründig nicht, was den Inhalt ihres neuen Romans betrifft – es geht um den Rechtsruck in Europa. Formal aber beschreitet Rossmann mit „Patrioten“ einen neuen Weg. Es sind diesmal nicht Mira Valensky und ihre Freundin Vesna Krajna, die den Mordfall aufklären. Vielmehr wird die Geschichte aus der Warte mehrerer Protagonisten erzählt. Da gibt es Sina, die mit ihrer Familie aus Syrien geflüchtet ist und von einer Pfarre betreut wird. Dann Frau Klein, eine alte Dame, die sich in ebendieser Pfarre der Flüchtlinge angenommen hat. Und ihren Verehrer, Herrn Pribil. Er hat sich einen wachen Verstand und kritisches Denken erhalten. Dann ist da noch David, Frau Kleins Enkel, der auf den Plan tritt, wenn es gilt, Internetverbindungen zu Syrien herzustellen, was aus mehreren Gründen nicht einfach ist. David ist in Sina verliebt, was er sich nicht eingestehen will, während sein Wohnungsgenosse, Cem, es schon längst bemerkt hat. David verfolgt auch aufmerksam, was ein User namens ES in den sozialen Medien zur Lage der Nation von sich gibt: Postings gegen Flüchtlinge, die Österreich seiner Werte und Kultur beraubt haben. Und schließlich Jennifer, eine junge Frau, die unerwartet schwanger wird, und ihr Vater, der damit wahrlich keine Freude hat.

Fake News und Gerüchteküche. Sie alle sind davon betroffen, dass der Parteichef der Patriotischen Sozialen, Julius Sessler, ans Kreuz genagelt wurde. Es geht jedoch nicht darum, diesen Mord aufzuklären, daran scheint außer der Polizei niemand sonderlich Interesse zu haben, am wenigsten die Patrioten selbst. Für sie änderte das nichts. Schon jetzt suggerieren sie im Netz, dass der Mord an Sessler islamistisch motiviert sei – immerhin: die Kreuzigung, ein Symbol des christlichen Abendlandes, und es sei bekannt, dass auch in Saudiarabien die Menschen gekreuzigt würden. Ein Ballon an Fake News bläht sich auf: Magere Fakten werden mit Spekulationen aufgefettet, bis kaum mehr unterscheidbar wird, was richtig, was falsch ist.

Auch für Sina und ihre Unterstützer ist der gekreuzigte Sessler nicht das eigentliche Thema. Vielmehr suchen sie nach Rami, Sinas Mann, der genau am Tag des Mordes verschwunden ist. Die Gewissheit, dass Rami nichts mit der Tat zu tun hat, wird erschüttert, als klar wird, dass Sina etwas verschweigt.

In diesem Buch können sich die Leser nicht vorbehaltlos mit einer Figur identifizieren, wie sie das von den Valensky-Krimis gewöhnt sind. Der ständige Perspektivenwechsel macht den Text sperriger, den Einstieg in die Handlung schwieriger. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem spannenden und erhellenden Text über die Situation in Europa belohnt, und nicht nur das: Die Figuren wachsen einem ans Herz, man zittert mit, wenn sie fallen, man freut sich, wenn sie wieder aufstehen. Nicht alle Protagonisten sind sympathisch, doch auch diesen lässt Rossmann die von Robert Schindel eingeforderte erzählerische Gerechtigkeit widerfahren. Etwa ist ES kein tumber, eindimensionaler Mensch, er ist gebildet und weiß sich zu artikulieren. Der Roman hat keinen belehrenden Duktus. Vieles wird zwischen den Zeilen verhandelt. Etwa die Frage, wer die eigentlichen Patrioten sind: jene, die die europäischen Errungenschaften vor dem Fremden beschützen wollen, oder jene, die dieselben Errungenschaften durch Engstirnigkeit und Ausgrenzung bedroht sehen.

Wahrscheinlich werden sich die unfreundlichen Posts auf Rossmanns Social-Media-Profil mehren, und vielleicht wird der eine oder andere Leser auf den nächsten Valensky-Krimi warten. Aber andere werden dazukommen, darauf hoffend, dass ihnen Sina, Frau Klein, David und all die anderen aus Rossmanns Figurenpark auch in einem kommenden Roman wieder begegnen werden.

Neu erschienen

Eva Rossmann: „Patrioten“, Folio Verlag, 360 Seiten, 22 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2017)

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