London plant „befristete Zollunion“

Sie wollen weiterhin in der EU bleiben: Pro-europäische Demonstranten im südenglischen Bristol.
Sie wollen weiterhin in der EU bleiben: Pro-europäische Demonstranten im südenglischen Bristol. (c) REUTERS (PETER NICHOLLS)
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Die Vereinbarungen für die Zeit nach dem EU-Austritt sollen sich von den bestehenden Regelungen kaum unterscheiden. Brüssel bezeichnet den Vorschlag als „Fantasie“.

London. Die britische Regierung will halbschwanger sein. Einerseits hält London unverrückbar am EU-Austritt Ende März 2019 fest. Andererseits will man nun nach einem gestern, Dienstag, vorgestellten Positionspapier „eine befristete Zollunion“ mit der Union beibehalten: „Wir wollen eine Vereinbarung, die der bestehenden Regelung so ähnlich wie möglich ist“, betonte Brexit-Minister David Davis in einer Reihe von Interviews.

Ziel ist es, den Absturz der britischen Wirtschaft nach dem Brexit in ein ungewisses Handelsregime zu vermeiden. London will stattdessen mehrjährige Übergangsfristen und zugleich das Recht, in dieser Periode neue Wirtschaftsabkommen auszuhandeln. Dafür ist man offenbar sogar bereit, in die Tasche zu greifen: „Ich werde nicht auf der Basis von dünner Luft verhandeln“, erklärte Davis.

Die nächste Gesprächsrunde zwischen Brüssel und London beginnt am 28. August. Von der EU-Kommission wurde das britische Papier abwartend aufgenommen. „Wir nehmen das britische Ersuchen zur Kenntnis, aber wir können uns damit erst befassen, wenn wir im Austrittsprozess ausreichende Fortschritte erzielt haben”, erklärte ein Kommissionssprecher.

Nach Brüsseler Sicht müssen erst die künftige Rechtsstellung von EU-Ausländern in Großbritannien, die Höhe der Scheidungskosten und die Überwachung der Grenze zwischen Nordirland und Irland geklärt werden. Während Davis vor heimischem Publikum nicht müde wird, sich selbst für „ausgezeichnete Fortschritte“ zu loben, warnte zuletzt EU-Agrarkommissar Phil Hogan aus Irland gegenüber der „Financial Times“: „Es besteht ein hohes Maß an Selbsttäuschung der Briten“.

„Großzügiger Vorschlag“

Zur Irland-Frage will die Londoner Regierung bereits heute, Mittwoch, ein weiteres Papier vorlegen. In den Ausstiegszahlungen ist die Führung nach unbestätigten Medienberichten mittlerweile bereit, einen Beitrag von 40 Milliarden Euro zu akzeptieren. Zu den Rechten der EU-Staatsbürger betonte Davis gestern: „Wir haben einen großzügigen Vorschlag gemacht, sind aber zu weiteren Anpassungen bereit.“

Die möglichen Übergangsfristen in den Handelsbeziehungen wurden von der Wirtschaft als „ermutigend“ begrüßt. Der Industrieverband CBI erklärte: „Die Uhr tickt, und worum es nun geht, ist schnellstmöglich für die Wirtschaft Bedingungen zu schaffen, in denen neue Investitionen getätigt werden können.“ Die British Chamber of Commerce forderte „glattestmögliche künftige Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU“.

Dazu stellte die Regierung zwei Optionen vor. Nach dem Verbleib in der EU-Zollunion bis spätestens 2022, dem regulären Termin der nächsten Parlamentsfrist, will Großbritannien entweder ein Zollregime einführen, das jenem der EU praktisch identisch ist – oder die Notwendigkeit von Zollkontrollen an den Landesgrenzen durch Einsatz modernster Technologie auf das absolute Mindestmaß reduzieren. „Wir werden einen innovativen und unerprobten Zugang vorschlagen“, heißt es in dem Regierungspapier. In der Wirtschaft wurde das nicht ohne Sorge aufgenommen, umgehend wurde vor administrativem Mehraufwand gewarnt: „Es wird Jahre dauern, bis so ein System installiert und funktionsfähig ist“, warnte das Wirtschaftsberatungsunternehmen EY.

Übergangsfrist nun ein Thema

Von den Hardlinern beider Seiten wurde der Vorstoß Londons erwartungsgemäß scharf kritisiert. Der Wortführer der radikalen Brexit-Anhänger, Nigel Farage, erklärte: „Wir haben nicht für Übergangsfristen gestimmt.“ Er sprach von Betrug am Wählerwillen und meinte: „Es ist gut möglich, dass wir in zehn Jahren noch immer nicht haben, was wir wollten.“ Auf der anderen Seite bezeichnete der Brexit-Repräsentant des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, den Vorschlag der britischen Regierung als „Fantasie“: Man könne nicht zugleich in- und außerhalb der Zollunion sein.

Von Beobachtern in London wurde es jedoch als Sieg der moderaten Kräfte in der Regierung gesehen, dass Übergangsfristen nun offizielle Politik sind. Dem schloss man sich verhalten auch in Brüssel an: „Wir sehen das als positiven Schritt, dass nun wirklich die erste Phase der Verhandlungen beginnen kann“, sagte ein Sprecher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2017)

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