Präsident Gerald Schöpfer weist Kritik an NGOs zurück. Länder wie Italien seien im Stich gelassen worden. Länder, die viele Flüchtlinge aufnehmen, sollten entsprechend finanziell unterstützt werden.
Wien. „Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden“, sagte Außenminister Sebastian Kurz dieses Frühjahr – und es war nur eine von vielen Kritiken, die an die Adresse von Hilfsorganisationen gerichtet waren. Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK), weist Äußerungen wie diese zurück. „Den Wahnsinn orte ich in diesem Zusammenhang ganz woanders, nämlich dort, wo Politik auf Kosten der Ärmsten gemacht wird.“ Man brauche keine unreflektierte Pauschalkritik an NGOs, die Menschen vor dem Ertrinken retteten, so Schöpfer im Vorfeld des internationalen Tages der humanitären Hilfe am 19. August.
Anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahlen im Oktober warnte Schöpfer vor Populismus in der Flüchtlings- und Migrationsfrage – und vor einer „politischen Kakofonie“. Sowohl in der österreichischen Innenpolitik als auch in der gesamten EU könne er keine gemeinsamen Bemühungen erkennen: „Die EU hat in der Flüchtlingsfrage versagt.“ Es sei inakzeptabel, noch mehr Tote in Kauf zu nehmen. Der ÖRK-Präsident und ehemalige ÖVP-Politiker bezog sich auch auf viel zitierte Vorwürfe, wonach Hilfsorganisationen mit Schleppern zusammenarbeiten würden. Bisher gebe es keine Belege dafür; wenn einzelne Organisationen betroffen seien, „dann muss man ihnen das Handwerk legen“. Und: „Das Rote Kreuz gehört nicht dazu.“
Verhandlungen mit Libyen schwierig
Humanitäre Krisen dauern heute länger, die Auseinandersetzungen werden immer brutaler: Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie 2017. Insgesamt 65,6 Millionen mussten ihr Zuhause verlassen. „In dieser Situation erscheint es als Gnadenakt, wenn hier 50 unbegleitete Minderjährige aufgenommen werden“, kritisiert Schöpfer. Von der Europäischen Union verlangt er eine Harmonisierung des Asylrechts sowie Kontingente für legale Migration, um Schleppern die Grundlage zu entziehen. Zudem solle es finanzielle Anreize für jene Staaten geben, die überproportional viele Flüchtlinge aufnehmen. Was Abkommen mit Herkunftsstaaten bezüglich Rückführungen betrifft, räumte Schöpfer ein, dass Verhandlungen mit instabilen Ländern wie Libyen besonders schwierig seien.
Andererseits seien von Flüchtlingsströmen betroffene Staaten wie Italien im Stich gelassen worden. Das Österreichische Rote Kreuz beteiligt sich derzeit nicht an den Rettungsaktionen im Mittelmeer, leistet jedoch humanitäre Hilfe auf dem Festland. „Das Mittelmeer lässt sich nicht schließen wie eine Skipiste“, so Schöpfer in Richtung Politik.
Im vergangenen Jahr hat die österreichische Bundesregierung den Auslandskatastrophenfonds von fünf auf 20 Mio. Euro aufgestockt. Schöpfer wies darauf hin, dass vergleichbar große Länder wie Dänemark und Schweden das Zehn- bis 20-Fache zur Verfügung gestellt hätten. Er forderte daher einen jährlichen Zuwachs des Fonds um fünf Millionen Euro. Positiv sieht der ÖRK-Präsident das gewachsene Interesse am Hilfseinsatz. Mit 73.600 freiwilligen Mitarbeitern und über einer Million Mitgliedern und Unterstützern habe man gleich zwei Rekorde gebrochen, so Schöpfer. „Sie sind vielleicht leiser als jene, die Ängste schüren, aber sie sind eine kritische Masse.“ (lmm)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2017)