Skepsis zwischen katalanischen und spanischen Behörden erschwerte Terrorprävention.
Madrid. Nach den Terroranschlägen in Katalonien mehren sich Hinweise auf Ermittlungs- und Sicherheitspannen. Auch wenn an den ersten Tagen nach den Terrorattacken die Fahndung nach den Tätern im Vordergrund steht und kaum jemand offen über Versäumnisse sprechen will. Entsprechend zelebrierten auch Spaniens Regierungschef, Mariano Rajoy, und der Ministerpräsident der abtrünnigen nordspanischen Region Katalonien, Carles Puigdemont, vor den TV-Kameras den großen Schulterschluss. Die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden Kataloniens und Spaniens funktioniere „sehr gut“, schworen sie.
Das ist nicht die ganze Wahrheit. Hinter den Kulissen knistert es. Man hört, dass die Unabhängigkeitspolitik Kataloniens auch in den gemeinsamen Antiterrorkampf einen Keil getrieben hat. Misstrauen herrsche zwischen den Ermittlern Kataloniens und Spaniens, berichten Insider. Erkenntnisse würden nicht so ausgetauscht, wie es für eine effiziente Arbeit notwendig wäre.
Haben diese Reibereien dazu beigetragen, dass die Terrorpläne in Katalonien nicht rechtzeitig entdeckt wurden? Gab es Mängel in der Koordination zwischen der autonomen katalanischen Polizei und den übrigen staatlichen Sicherheitsbehörden bei der Überwachung der Fundamentalisten, die in Katalonien besonders aktiv sind?
Inzwischen wird zum Beispiel berichtet, dass der mutmaßliche Kopf der katalanischen Terrorzelle, der marokkanische Hassprediger Abdelbaki es Satty, kein unbeschriebenes Blatt war, sondern sein Name schon im Zusammenhang mit anderen islamistischen Terrorgruppen in den Akten aufgetaucht ist. Etwa mit jener, die am 11. März 2004 in Madrid vier Vorortzüge sprengte und 191 Menschen tötete.
Auch hinterließen Mitglieder der Terrorzelle Hasskommentare im Internet, die den Fahndern offenbar entgingen. Wie jener menschenverachtende Wunsch des in Cambrils erschossenen Moussa Oukabir, der schon vor zwei Jahren in sozialen Netzwerken geäußert hatte: „Ich möchte so viele Ungläubige wie möglich töten.“
Es gibt wenig Zweifel, dass das Gerangel zwischen Madrid und Barcelona die Zusammenarbeit belastet. Noch kurz vor den Terroranschlägen beschwerte sich Kataloniens Ministerpräsident, Puigdemont, darüber, dass die spanische Regierung den Ausbau der katalanischen Polizei, der Mossos d'Esquadra, in der bisher 16.800 Beamte tätig sind, blockiere. Auch klagt Katalonien, dass die spanische Regierung die Mossos nicht am vollständigen Informationsaustausch mit der nationalen Antiterrorbehörden Citco teilhaben lässt, bei der die Terrorerkenntnisse der spanischen Nationalpolizei, der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil und des Geheimdienstes CNI eingespeist werden. Ebenso habe man wegen des spanischen Widerstands keinen kompletten Zugang zu internationalen Terrorwarnnetzen bei Europol und Interpol.
In Barcelona glaubt man, dass dies die Rache dafür ist, dass die Katalanen auf Abspaltung pochen und am 1. Oktober einseitig und gegen die spanische Verfassung über die Unabhängigkeit abstimmen wollen. Sollte Katalonien mit der Abspaltung Ernst machen, könnte den Mossos eine wichtige Rolle bei der Absicherung des Referendums und der erwarteten Konfrontation mit Spanien zufallen.
Unabhängig von Pannen bei der Zusammenarbeit in der Terrorabwehr muss sich Kataloniens Regierung fragen lassen, warum sie auf Barcelonas berühmter Allee La Rambla, auf der mehr als 100 Menschen überrollt wurden, keine Antiterrorsperren installiert hat. Warnungen vor Anschlägen hat es genügend gegeben. Und es lag auch eine ganz offizielle Empfehlung des spanischen Innenministeriums vor, „strategische Punkte, die Ziel eines terroristischen Angriffs sein könnten“, mit baulichen Sperren abzusichern.
Siebenjähriger unter Opfern
Indessen fahndete die Polizei weiter nach dem Haupttäter des Anschlags, der den Lieferwagen gelenkt hatte. Es sei unklar, ob sich der 22-jährige Marokkaner noch in Spanien aufhalte, teilte die katalanische Polizei am Sonntag mit. Traurige Gewissheit gibt es über einen vorerst vermissten australischen Buben. Die katalanischen Notfalldienste teilten mit, sie hätten den Siebenjährigen als eines der Opfer der Attacke identifiziert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2017)