Ratlos in Almanya: Was tun gegen Erdoğan?

Kanzlerin Angela Merkel schlägt inzwischen gegenüber Recep Tayyip Erdoğan eine härtere Gangart ein. Aber noch zähmt das den Präsidenten nicht.
Kanzlerin Angela Merkel schlägt inzwischen gegenüber Recep Tayyip Erdoğan eine härtere Gangart ein. Aber noch zähmt das den Präsidenten nicht. (c) APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Deutschlands sanfte Türkei-Politik ist gescheitert. Und auch der Kurswechsel brachte Erdoğan noch nicht zur Räson.

Berlin. Sigmar Gabriel steht in der HDI-Arena zu Hannover – Wahlkampf in der politischen Heimat, in Niedersachsen. Der deutsche Chefdiplomat setzt jetzt ein leichtes Schmunzeln auf, wie er es oft tut, wenn er zu einer Spitze ansetzt: „Offenbar bin ich noch nicht lange genug dabei, um schon alles erlebt zu haben“, sagt er ins Mikrofon. Eine Replik an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der tags zuvor duzend gegen den deutschen Außenminister polemisiert hatte. „Wie lange bist du eigentlich in der Politik? Wie alt bist du?“, schimpfte Erdŏgan. Und: „Beachte deine Grenzen.“ Gabriel hatte dem türkischen Präsidenten zuvor wegen eines Wahlboykottaufrufs „Hetze“ unterstellt.

Berlin bekommt den Krawallmacher vom Bosporus nicht in den Griff. Noch im April war im Außenministerium die Hoffnung zu hören, dass sich die Spannungen wieder legen könnten nach dem türkischen Referendum, dass Erdoğan das im Wahlkampf gezimmerte Feindbild Deutschland vielleicht wieder abräumen würde. Nazi-Vergleiche ließ man über sich ergehen, auch wenn Umfragen anzeigten, dass eine Mehrheit der Deutschen die Milde der Regierung längst ablehnte. Nur nicht provozieren lassen, lautete das Credo. Inzwischen hat sich die Hoffnung eines Kurswechsels in Ankara zerschlagen. Inzwischen räumt Gabriel ein, dass die Zurückhaltung keine Wirkung zeigte: „Im Gegenteil: Es sind weiter Menschen aus Deutschland unschuldig in Haft genommen worden“, sagte er der ARD. Und der grüne Spitzenkandidat Cem Özdemir erklärte den sanften Kurs für „krachend gescheitert“.

Türkei-Politik „massiv geändert“

Man habe ja die Türkei-Politik mittlerweile „massiv geändert“, erklärte Angela Merkel. Vor einem Monat betätigte die Regierung erstmals vorsichtig den wichtigsten Hebel, den sie zur Verfügung hat. Sie zielte auf die Wirtschaft. Die Hermes-Bürgschaften für Türkei-Geschäfte müssten überprüft werden, sagte Gabriel damals. Der wichtigste Handelspartner der Türkei brachte also seine Exportkreditgarantien ins Spiel. Ein erster Wirkungstreffer. Eine schwarze Liste, die Hunderte deutsche Unternehmen des Terrors verdächtigte, verschwand. Die türkische Regierung garantierte den deutschen Unternehmen „100 Prozent“ Schutz.

Auch eine Vertiefung der Zollunion mit der Türkei ist derzeit vom Tisch. Und Berlin verschärfte die Reisebestimmungen. Wobei dieser Effekt verpuffte. Die Türkei zähle derzeit zu den gefragtesten Last-Minute-Zielen der Deutschen, teilte der Reiseveranstalter TUI jetzt mit.

Und Erdoğan ist nicht gezähmt. Immer neue Tiefpunkte belasten das deutsch-türkische Verhältnis: von spitzelnden Imamen bis zu den Festnahmen des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, des Aktivisten Peter Steudtner – und nun auch des Schriftstellers Dogan Akhanli, den Erdoğans langer Arm im spanischen Granada erreichte. Inzwischen ist der deutsche Staatsbürger zwar wieder auf freiem Fuß. An seine Auslieferung durch Spanien an die Türkei glaubt niemand. Erdoğan hatte für die Jagd auf Akhanli aber Interpol einspannen lassen. Eine internationale Behörde dürfe nicht für „so etwas missbraucht werden“, beklagte nun Merkel, die zugleich Erdoğans jüngsten Aufruf an die Deutschtürken als „völlig unmöglich“ geißelte. Der Präsident hatte zu einem Wahlboykott der SPD, der Grünen und der CDU/CSU aufgerufen – alles „Feinde der Türkei“.

Rund eine Million der 61,5 Millionen Wahlberechtigten haben einen türkischen Migrationshintergrund. Ihr Kreuz machen sie mehrheitlich links der Mitte: 2013 sollen 64 Prozent der Deutschtürken SPD und nur sieben Prozent CDU gewählt haben. Insgesamt leben drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland. Ein Teil davon, die genaue Zahl ist unklar, hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Merkel lehnte eine Abschaffung des Doppelpasses lange ab – und stellte sich damit gegen ihre Basis. Nun entsorgte die Kanzlerin auch dieses Thema geräuschlos: Es soll nun einen „Generationenschnitt“ geben, die Enkel von Einwanderern müssen sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. So steht es im Wahlprogramm.

Gabriel profiliert sich in Türkei-Frage

Eine Unterscheidung zur SPD. Zum Wahlkampfschlager taugt die Türkei-Politik indes nicht, weil sich SPD und Union sonst im Groben einig sind. Allerdings beklagt Schulz gern, dass Merkel mit Erdoğan nicht Klartext rede – anders als Gabriel. Der SPD-Außenminister erlebt im neuen Amt ein persönliches Umfragehoch. Seiner Partei nützt das aber nichts. Weshalb wohl die Frage durch das Willy-Brandt-Haus geistert, ob man nicht den Kanzlerkandidaten zum Außenminister machen hätte sollen. Die Deutschen mögen ihre Chefdiplomaten. Nun profiliert sich Gabriel auch im Umgang mit Erdoğan, wobei der Außenminister, einst mit einer Türkin verheiratet, immer wieder Liebeserklärungen an das Land formuliert und anklingen lässt, dass Berlin nach dem Putschversuch mehr Solidarität mit Ankara hätte zeigen sollen. Den neuen härteren Kurs erklärte er den Deutschtürken in einem Brief in der „Bild“, der auch auf Türkisch abgedruckt wurde.

Im Falle einer Neuauflage der Großen Koalition dürften übrigens sowohl Schulz als auch Gabriel für den Außenminister-Posten infrage kommen. Die Türkei-Krise wird den nächsten Chefdiplomaten jedenfalls begleiten: „Wir dürfen nicht glauben: In ein paar Wochen ist das erledigt“, sagte jüngst Unionsfraktionschef Volker Kauder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2017)


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