Hochschulgespräche

Generationenkonflikt: „Seniorenstudenten sollten zahlen“

Symbolbild: Seniorenstudent
Symbolbild: SeniorenstudentAPA/KEYSTONE/CHRISTOF SCHUERPF
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Der deutsche Forscher Jörg Tremmel über Generationengerechtigkeit in der Bildung, ein verpflichtendes Nachhaltigkeitszertifikat für jeden Studenten und vegetarische Tage in der Mensa.

Die Presse: Wenn es um Bildung geht, wird vieles verglichen: Wie schneiden Frauen und Männer ab, wie weit kommen Menschen unterschiedlichen sozialen Hintergrunds, wie sehr wird Bildung vererbt. Sie bringen die verschiedenen Generationen ins Spiel. Warum ist das relevant?

Jörg Tremmel: Es gibt in unserer Gesellschaft verschiedene Spannungslinien, zum Beispiel zwischen Männern und Frauen oder zwischen Arm und Reich. Und auch zwischen den Generationen. Das ist ein Forschungsfeld, das bisher wenig beackert wurde. Ich finde es spannend zu sehen, ob von Generation zu Generation die Bildungsabschlüsse besser oder schlechter werden, die Zufriedenheit der Studierenden zunimmt oder abnimmt oder wie sich die staatlichen Ausgaben in Bildung in Prozent des BIP pro Kopf entwickeln. Das sind typische Fragen des Forschungsfeldes generationengerechte Bildungspolitik.

Immer mehr junge Menschen erlangen heute immer höhere Bildung. Fast jeder zweite kann inzwischen ein Hochschulstudium beginnen. Damit liegt die aktuelle Generation ganz deutlich vor allen anderen.

Das stimmt. Und es ist tatsächlich positiv, wenn das Bildungsniveau insgesamt zunimmt, weil jede Kohorte im Durchschnitt eine höhere Bildung erlangt als ihre Vorgängerkohorte. In dieser Hinsicht ist die Generationengerechtigkeit prinzipiell erfüllt. Die andere Frage ist aber, was mit diesen höheren Abschlüssen dann auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden kann. Wenn jeder einen Hochschulabschluss hat, kann man nicht mehr damit herausstechen. Die Zunahme des Bildungsniveaus von Generation zu Generation bedeutet also nicht, dass die junge Generation auf dem Arbeitsmarkt besser dasteht.

Bedeutet denn der Begriff Generationengerechtigkeit, dass die folgenden Generationen unbedingt besser dastehen müssen als die früheren Generationen?

Als ich im Jahr 2012 als Referent in Alpbach war, habe ich das Publikum gefragt, wer denkt, dass unsere Kinder es einmal besser haben sollen. Etwa zwei Drittel waren dieser Auffassung, der Rest hielt es für durchaus ausreichend, wenn Kinder es genauso gut haben wie ihre Eltern. Auch in der Fachwelt gibt es unterschiedliche Meinungen in dieser Frage. Ich vertrete die Auffassung, dass es die moralische Pflicht der heutigen Generation ist, späteren Generationen nicht nur ein gleich gutes, sondern ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich vertrete die Idee von Generationengerechtigkeit als Ermöglichung von Weiterentwicklung.

In welchen Bereichen sollen die nachfolgenden Generationen es denn besser haben?

In jedem Fall bei Lebenserwartung und Bildungsniveau. Es gibt aber verschiedene Indikatoren, was ein gutes Leben oder eine hohe Lebensqualität ausmacht. Das ist eine Debatte für sich.

Es gibt ja auch die Frage, wie es alten und jungen Menschen aktuell geht. Ist es ein Thema der generationengerechten Bildung, ob sich ältere Menschen weiterbilden können? Und wie sehen Sie es, wenn sie beispielsweise noch ein Studium beginnen?

Natürlich sollen sich auch Pensionisten weiterbilden können. Die Frage ist aber, zu welchen Bedingungen. Ich halte es für vernünftig, wenn jüngere Menschen ihr erstes Studium kostenfrei absolvieren, weil man von Menschen dieser Altersgruppe ja erwarten kann, dass sie danach in einen Beruf einsteigen und Sozialbeiträge und Steuern an die Gesellschaft zurückgeben. Wenn allerdings ein 80-Jähriger sagt, dass er zu seinem Privatvergnügen ein teures Studium absolvieren will, sollte das nicht generell kostenfrei sein.

Es wäre also gerecht, wenn Seniorenstudenten für ihr Studium zahlen.

Ja, das denke ich schon. Man sollte aber eine Härtefallklausel für sozial schwache Senioren einführen. Die Logik, dass man eine Berufsausbildung erwirbt und dann der Gesellschaft etwas zurückzahlt, ist ja bei Seniorenstudierenden außer Kraft gesetzt. Und bei uns in Tübingen gibt es in Geschichte, Philosophie oder Religionswissenschaft inzwischen viele grauhaarige Studenten.

Was beim Stichwort Generationenkonflikt immer auch mitspielt, ist die Frage der Nachhaltigkeit. Inwiefern nehmen die Hochschulen hier ihre Verantwortung wahr?

Sehr unterschiedlich. Es gibt bis jetzt kein generelles Label, mit dem sich Hochschulen auf Nachhaltigkeit in Forschung, Lehre und im Studienalltag zertifizieren lassen können. Mir sind nur Modellprojekte bekannt, wo solche Kriterienkataloge aus der Wirtschaft adaptiert werden.

Worum geht es da?

Es geht dabei etwa darum, ob es eine ausreichende Zahl an Lehrangeboten gibt, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen oder ob es auch in der Forschung eine Nachhaltigkeitsorientierung gibt. Die Hochschulen sollten sich mehr mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen.

Welche Nachhaltigkeitsinitiativen könnten Sie sich an den Hochschulen denn konkret noch vorstellen?

Etwa, dass Studierende aller Fächer, also auch Naturwissenschaftler oder Ingenieurwissenschaftler, während des Studiums ein Nachhaltigkeitszertifikat absolvieren, dass sie sich also mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen müssen. So ähnlich wie ein großes Latinum. Und dann haben Hochschulen natürlich auch betriebliche Abläufe wie andere Unternehmen.

Sie meinen damit also zum Beispiel den Energieverbrauch, auf den sie achten können.

Genau. Hochschulen können auf ihren Dächern Solaranlagen installieren, auf die Nahrungsmittel achten, die verkauft werden, in der Mensa einen fleischlosen Tag einführen. So ein Tag würde vielleicht gar nicht so wahnsinnig viel CO2 sparen. Aber es könnte Bewusstsein dafür schaffen, dass wir mit unserer Ernährung jeden Tag drei Mal entscheiden, wie nachhaltig die Welt sein soll.

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