Wenn Franz Fischler ein Mädchen wäre...

Franz Fischler
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In „My Other Life – Mein anderes Leben“ fragen sich Alpbacher, Forumsmitarbeiter und Teilnehmer, wer sie hätten sein können, wären sie mit einem anderen Geschlecht geboren worden.

Franz Fischler hätte Maria geheißen. Dann nämlich, wenn er statt als Sohn als Tochter auf die Welt gekommen wäre. Wäre er Minister geworden, EU-Kommissar gewesen, wäre er heute Präsident des Forum Alpbach? Wer wäre er gewesen als Maria Fischler? Diese Frage wirft der Film „Mein anderes Leben auf“: Sekundenlang hängt sich die Kamera an dem Gesicht fest, geht nicht weg, während Fischler den Namen ausspricht: Maria. Man hört es nicht, man sieht nur die Lippenbewegung und das eingeblendete Wort – und gleichzeitig die Reaktion.

Fünf Tage lang traf ein Filmteam Alpbacher, Kongressteilnehmer und Mitarbeiter des Forums. Insgesamt 205 Menschen stellten sich dabei vor die Kamera – und sprachen jenen Namen aus, den sie bekommen hätten, wären sie mit einem anderen Geschlecht zur Welt gekommen. Die technische Anleitung des Produktionsteams an die Protagonisten war einfach: Sag' uns deinen Namen, und stell' dir vor, wer du wärst. Wie du wärst.

Das Team hatte – nach eigenen Angaben – zum Ende der Produktion 410 Namen im Kopf: die richtigen und die jeweils andere Option – was freilich manchmal auch kein Name sein kann – dann nämlich, wenn man nicht weiß, welchen Namen die Eltern beim anderen Geschlecht aus dem Ärmel geschüttelt hätten.

„Oh, der Bruno“

Die Produktion des 50 Minuten langen Stücks fand vollständig während des Forums statt – von Donnerstag bis gestern, Dienstag, arbeitete das Team daran. Geleitet wurde das Projekt vom Schweizer Filmemacher Mats Staub (der, wäre er ein Mädchen geworden, Franziska geheißen hätte). Mit seinen Arbeiten war er bereits mehrmals bei den Wiener Festwochen zu sehen, wo er auch Elisabeth Schack kennenlernte und die Zusammenarbeit mit ihr begann; Schack ist die neue Alpbach-Kulturprogrammchefin und holte ihn für heuer zum Forum.

„Ich bin danach durch Alpbach spaziert, und als mir eine Frau entgegenkam, dachte ich mir: Oh, der Bruno“, sagt er. Die Reaktion ist verständlich. Sieht man den Film, wirkt es ganz und gar nicht seltsam, neben einem Frauenkopf einen Männernamen stehen zu sehen – oder eben umgekehrt. Um die Frage der Geschlechterfluidität geht es dabei übrigens maximal marginal; Staub interessiert sich mehr für die persönliche Geschichte, die hinter einer Namensgebung steht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Staub das Konzept von „Mein anderes Leben“ ausführt. Bereits mehrere Male haben sein Team und er es auf internationalen Kunst- und Kulturfestivals erprobt. „Auf einer solchen Veranstaltung wie dem Forum Alpbach heißt es doch immer: Es ist ein Ort der Begegnung“, sagt Staub, „und dabei kommt man meistens zu zweit und geht wieder zu zweit. In der Regel sieht man während eines Festivals zwar immer wieder dieselben Gesichter“, aber ihre Geschichten blieben verborgen.

„Mein anderes Leben“ versucht, diese Diskrepanz zumindest ein wenig zu ändern. Es ist ein leichter Film, ein fröhliches Starren auf und Studieren von Gesichtern, meist von Menschen, die man nicht kennt – aber deren Geschichte man plötzlich zu kennen glaubt. Es ist ein Film, bei dem man wegdriften darf, bei dem man damit beginnt, zu philosophieren – vielleicht auch darüber, was mit einem selbst so geschehen wäre. Den Personen vor der Kamera ergeht es ganz ähnlich: Manchmal bleibt der Blick kühl und ernst, starr und unbewegt; manchmal ist er sogar traurig – häufig dann, wenn der „andere“ Name nicht dabeisteht, weil man ihn nicht kennt.

Das Nachdenken geht weiter

Manchmal – und meistens – beginnt die Reflexion allerdings direkt vor den Augen der Zuseher. Es kommen Lacher, Blicke zur Seite, nach oben, nach unten. Und das Nachdenken gehe für viele Protagonisten auch nach dem Dreh noch einige Zeit weiter, erzählt das Team. Eine der Protagonistinnen, die – wäre sie ein Bub geworden – von ihren Eltern den gleichen Vor- und Nachnamen bekommen hätte, bestätigt das: „Mir ist erst in dem Moment aufgefallen, dass mein Leben wohl ziemlich anders verlaufen wäre. Es wäre ziemlich beschissen.“

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