Austerlitzgipfel

Macron gibt in Salzburg den Beschützer Europas

Treffen in Salzburg. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Unterredung im Kongresshaus.
Treffen in Salzburg. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Unterredung im Kongresshaus. (c) APA/BKA/ANDY WENZEL
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Frankreichs Präsident verspricht eine Neugründung der EU und sagt gemeinsam mit Gastgeber Kern osteuropäischem Lohndumping den Kampf an.

Salzburg. Emmanuel Macron ist kein Mann kleiner Worte. „Der Moment der Neugründung Europas ist gekommen“, sagt der französische Staatspräsident im holzvertäfelten Pressesaal des Salzburger Kongresszentrums. Neben ihm steht sein Gastgeber, Österreichs Bundeskanzler Christian Kern, und nickt. Es ist nicht allzu schwer gewesen, den neuen Star europäischen Politik in die Festspielstadt zu locken. Macron, selbst ein begeisterter Pianist, liebt die Musik. Doch vor dem abendlichen Hörvergnügen, auf das er sich erklärtermaßen freut, kommt die Arbeit.

Länger als geplant geht der Franzose mit seinem „Freund Christian“ aus dem „privilegierten Partnerland Österreich“ bilateral die Themen durch, die beide verbinden. Dann erst treffen sie die anderen Gipfelteilnehmer: Bohuslav Sobotka und Robert Fico, die Ministerpräsidenten Tschechiens und der Slowakei. Das Austerlitz-Format, benannt nach dem ersten Ort der tschechisch-slowakisch-österreichischen Begegnung auf Ebene der Regierungschefs, ist heute um den Ehrengast aus Paris erweitert. Doch das soll erst der Anfang sein. Für nächstes Jahr schon ist das nächste Treffen der Vierergruppe geplant. Die Kleinstaaten schätzen, wie ernst Frankreich sie auf einmal nimmt.

Gemeinsam schießen sich Kern und Macron auf die EU-Entsenderichtlinie ein, die es Unternehmen ermöglicht, Arbeitnehmer aus Niedriglohnländern wie etwa Tschechien oder der Slowakei zu geringeren Kosten für bis zu zwei Jahre in Nachbarstaaten zu schicken. Auch da ist der französische Staatschef nicht um große Worte verlegen. Ein „Verrat am Geist Europas“ sei die Entsenderichtlinie, sagt Macron empört. Der Binnenmarkt und Freizügigkeit seien nicht geschaffen worden, um niedrigere soziale Standards zu fördern. Es müsse gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben, fordert der französische Staatschef, der die Entsendezeit künftig auf ein Jahr verkürzen will.

Im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping weiß sich der Ex-Sozialdemokrat auf einer Linie mit Christian Kern. Es gehe um soziale Fairness, sagt der Kanzler. Die bisherigen Fortschritte bei Reformdiskussionen auf EU-Ebene seien unbefriedigend. 166.000 Arbeitnehmer seien im Vorjahr auf Basis der Entsenderichtlinie nach Österreich geströmt. Heuer seien es in den ersten sechs Monaten bereits 90.000 gewesen. Doch es seien nicht nur strengere Regeln nötig, sondern vor allem auch deren Umsetzung.

Bald Konsens bei Entsenderichtlinie?

Tschechien und die Slowakei sehen das Grundübel naturgemäß anderswo: In der auseinanderklaffenden Lohnschere zwischen Ost und West. Der sozialdemokratische Regierungschef aus Prag plädiert deshalb dafür, den Binnenmarkt und Fonds zu nützen, um die Angleichung der Lebensstandards voranzutreiben. Unlängst erhöhte Tschechen den Mindestlohn: auf 2,80 Euro.

Das Treffen in Salzburg endet konsensual. Bis zum EU-Gipfel im Oktober wollen die vier Regierungschefs eine Einigung finden, um die Entsenderichtlinie zu ergänzen. Kern will mit dem Gipfel explizit Gräben zwischen Ost und West zuschütten. „Wir wollen nicht, dass Europa in ein altes und neues Europa gespalten wird“, sagt er. Gleichzeitig kann man das Treffen auch als Versuch sehen, die Visegrad-Gruppe (V4) auseinanderzudividieren, Tschechien und die Slowakei also von Polen und Ungarn etwas loszueisen. Doch da widerspricht der slowakische Premier. Er schätze die V4 und die Arbeit des ungarischen Vorsitzes, sagt Robert Fico, der sich einmal mehr deutlich gegen die Verteilung von Flüchtlingen ausspricht. „Es ist unmöglich, Asylpolitik auf Fetisch der Quoten aufzubauen.“

Lob für Frankreichs Führungsrolle

Es ist eine überraschend protektionistische Agenda, die Frankreichs liberale Hoffnung im Mund führt. „Europa muss mehr Sicherheit bieten. Europa muss schützen“, erklärt der französische Staatspräsident. Der Mann aus dem Élysée-Palast scheint seine Rolle gefunden zu haben: Ein Beschützer des Kontinents möchte er sein. Und schützen will er Europas Bürger dabei nicht nur vor Terror und Massenmigration, sondern auch vor den „Zwängen der Globalisierung“.

So soll Frankreich dem europäischen Integrationsprojekt neuen Sinn einimpfen. Macron hat Großes vor: Er will ein gemeinsames Asylrecht, einen gemeinsamen Grenzschutz sowie einen gemeinsamen Investitionsfonds, ein gemeinsames Budget, ein gemeinsames Parlament und einen gemeinsamen Finanzminister für die Eurozone. Seine Initiative möchte er noch vor Ende des Jahres starten.

Kern verfolgt eine ähnliche Agenda mit gleichlautend linkem Anklang: Europa müsse Sicherheit und Wohlfahrt bieten, sagt er. Es sei schon richtig, strikte Haushaltsregeln zu haben. Doch wenn Europa die Verfehlung von Budgetzielen bestrafe, dürfe es gleichzeitig nicht Arbeitslosigkeit und Steuervermeidungspraktiken von Großkonzernen wie Apple hinnehmen. Ausdrücklich begrüßt Kern, ebenso wie Fico, die französische Führungsrolle. Europa benötige Leadership, sagt er. Und Österreich Zukunft könne nur in einer starken EU liegen.

Während die Regierungschefs über der Entsenderichtlinie brüten, wandeln Brigitte Macron, ganz in Rot, und Eveline Steinberger-Kern, ganz in Schwarz, durch den Mirabell-Garten. Nach einem Abendessen im Hotel Sheraton lauschen die Kerns, die Macrons und der frisch geschiedene Bohuslav Sobotka einem Klavierkonzert der Festspiele. Daniel Barenboim und Martha Argerich spielen Mozart und Debussy. Der slowakische Premier reist vorzeitig ab. Die anderen bleiben über Nacht. Donnerstag früh wollte Macron nach Rumänien und dann nach Bulgarien weiterfliegen, das im ersten Halbjahr 2018 vor Österreich den Vorsitz in der EU innehat. Der französische Präsident hat also durchaus strategische Gründe für seine Reiseroute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2017)

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