Gastkommentar

Staatsbürgerschaft im Schnellverfahren

Österreich ist ein Einwanderungsland geworden. Mit einer Besonderheit: dem gesetzlichen Einbürgerungsanspruch.

Im ersten Halbjahr 2017 gab es in Österreich 9,6 Prozent mehr Einbürgerungen. Mehr als die Hälfte davon aufgrund eines Rechtsanspruchs. Das sind die ernüchternden Zahlen, die von der Statistik Austria jüngst für das erste Halbjahr 2017 präsentiert wurden. Während man in Österreich noch darüber diskutiert, ob man wirklich ein Einwanderungsland sein will, ist das Land längst zu einem „Einbürgerungsland“ geworden.

Besonders ernüchternd ist dabei die Tatsache, dass das offensichtlich immer mehr automatisch erfolgt. Trotz diverser Lippenbekenntnisse der politischen Verantwortlichen verzichtet man in der Realität zunehmend darauf, sich auszusuchen, wer denn überhaupt neuer Bürger wird.

Stattdessen gibt's die österreichische Staatsbürgerschaft quasi automatisch, teilweise sogar schon nach einer verkürzten Aufenthaltsdauer von sechs Jahren.

Das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz kennt – im Gegensatz zu fast allen anderen EU-Staaten – nämlich eine Besonderheit: einen gesetzlichen Einbürgerungsanspruch. Wenn die allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen (Unbescholtenheit, Lebensunterhalt, Deutschkenntnisse etc.) erfüllt sind, muss beim Vorliegen besonderer Umstände die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden.

„Fast-Track-Österreicher“

Im ersten Halbjahr 2017 wurden auf diese Weise immerhin 2625 neue Österreicher geschaffen. Bei einer Gesamtzahl von 4695 Einbürgerungen ein nicht zu verachtender Anteil von 55,9 Prozent.

Neben den hinlänglich bekannten und gesellschaftlich wohl auch weithin akzeptierten Gründen (etwa 30 Jahre ununterbrochener Hauptwohnsitz in Österreich oder 15 Jahre rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt oder Fälle mit nachhaltiger persönlicher Integration, Ehegatten etc.) bleibt insbesondere die Personengruppe der „Fast-Track-Österreicher“ unbeachtet: 1689 Personen wurden nämlich bereits nach einem mindestens sechsjährigen Wohnsitz in Österreich und aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen eingebürgert (Geburt in Österreich, asylberechtigt oder EWR-Staatsangehörigkeit, §11a, Abs4 Staatsbürgerschaftsgesetz).

Zum Vergleich wurden lediglich 192 Personen aufgrund eines mindestens 15-jährigen Wohnsitzes in Österreich und nachhaltiger Integration eingebürgert. Die von der Politik in den vergangenen Jahren propagierten Maßnahmen, dass nur eingebürgert wird, wer bereits lange im Land anwesend ist und darüber hinaus besonders gut integriert, greifen in keiner Weise.

Der seit dem Jahr 2011 anhaltende Trend zu steigenden Einbürgerungszahlen setzte sich ungebremst fort. Mehr als ein Drittel der eingebürgerten Personen ist bereits in Österreich geboren. Dazu kommt, dass fast 40 Prozent der neuen Bürger aus nur vier Staaten stammen: Bosnien und Herzegowina, Türkei, Kosovo und Serbien. Im Vergleich dazu stammen nur 14 Prozent aus Staaten der Europäischen Union.

Gerade bei Personen, bei denen der Status Asylberechtigter vorliegt und Personen, die in Österreich geboren wurden, erweist sich der Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach bereits sechs Jahren als problematisch. Zwar ist die Einbürgerung von Asylberechtigten, die keinerlei Kenntnisse der deutschen Sprache und der hiesigen Rechtsordnung vorweisen, grundsätzlich ausgeschlossen (allgemeine Einbürgerungsvoraussetzungen). Doch die sonst geforderte nachhaltige persönliche Integration beziehungsweise der Nachweis von Deutschkenntnissen auf einem höheren Niveau entfallen.

Offensichtlich erachtet man sechs Jahre Asylstatus als ausreichend, um Österreicher zu werden. Und auch die Annahme, dass in Österreich geborene Kinder nach sechs Jahren quasi automatisch „Österreich-fit“ seien, ist wohl angesichts der allseits kritisierten und mangelhaften Integrationsmaßnahmen mehr als verfehlt.

Ansprüche für Angehörige

Es hat den Anschein, dass man über die Konsequenzen derartiger Einbürgerungen zu gern den Mantel des Schweigens breitet. Völlig außer Acht gelassen wird etwa der ganze Strauß von Rechten und Ansprüchen für sogenannte drittstaatsangehörige Familienmitglieder.

Angesichts der weitreichenden EU-Regeln kommt die Erlangung der Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedslandes schon einmal einem Lottogewinn für die gesamte Restfamilie gleich. Im Grundsatz gilt nämlich, dass ein Unionsbürger seine Familienmitglieder mit allen Rechten und Pflichten mitnehmen oder nachkommen lassen kann. Egal, ob dieses Familienmitglied nun selbst EU-Bürger ist oder eben nicht.

Die aus der Unionsbürgerschaft abgeleiteten Rechte für drittstaatsangehörige Familienmitglieder wurden massiv ausgeweitet. Bei der Fast-Track-Verleihung von österreichischen Staatsbürgerschaften muss das mitgedacht werden. Durch das so entstandene exzessive Freizügigkeitsrecht eines Kindes und das dadurch unmittelbar abgeleitete Mitzugsrecht der Eltern müssen schlussendlich auch alle anderen EU-Mitgliedsländer den rechtlich vorgesehenen Einbürgerungsautomatismus Österreichs teilen und akzeptieren.

Rechte nicht mehr verwehren

Egal, wie „autonom“ sich derzeit einige EU-Staaten noch wähnen und glauben, gegen einen Migrationszustrom abschotten zu können, in sechs bis acht Jahren werden sie den „neuen“ Unionsbürgern aus Österreich und ihren drittstaatsbegünstigten Familienmitgliedern etwa die Freizügigkeitsrechte nicht mehr verwehren können.

Es bleibt die Frage nach der politischen Verantwortung. Die Mehrheit der österreichischen Bürger und Bürgerinnen goutiert es nicht, dass die Zahl der Einbürgerungen kontinuierlich von Jahr zu Jahr steigt und dabei gleichzeitig die versprochenen Verschärfungen beziehungsweise höheren Ansprüche zur Erlangung der Staatsbürgerschaft konsequent außer Acht gelassen werden.

Durch den Rechtsanspruch auf Einbürgerung verzichtet Österreich unnötigerweise auf Auswahlmöglichkeiten. Nicht die im globalen Wettbewerb nachgefragten Qualifikationen sind entscheidend, sondern lediglich Kriterien wie Aufenthaltsdauer oder gar der Status als anerkannter Asylwerber sollen dafür ausschlaggebend sein, ob jemand Österreicher wird.

Es droht die Selbstaufgabe

Es hat den Anschein, dass die existierenden Versäumnisse im Bereich Integration und Flüchtlingsbetreuung dadurch „gelöst“ werden, dass man die betreffenden Personen einfach schnell zu Österreichern macht. Wird die bestehende Einbürgerungspraxis unverändert fortgesetzt, droht Österreich die Selbstaufgabe. Offensichtlich will und kann man nicht entscheiden. Es ist einfach unverständlich, warum Parlament und Regierung in Österreich sehenden Auges weiter in die falsche Richtung laufen.

DER AUTOR

Dr. Stefan Brocza studierte in Wien, St. Gallen und Harvard. 1994 zuständig für EU- und Schengen-Koordinierung im Innenministerium, ab 1996 im EU-Ratssekretariat in Brüssel (Außenwirtschaftsbeziehungen, Erweiterung, Presse/Kabinett, Umsetzung der EU-Außenstrategie für die innere Sicherheit). Aktuell tätig in Lehre und Forschung an Universitäten im In- und Ausland sowie als politischer Berater, Publizist und Gutachter.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2017)

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