Die Nobelpreis-Farce von Oslo

Obama hätte den Friedensnobelpreis besser abgelehnt. Beleidigt wären fünf Norweger gewesen, sonst niemand.

Barack Obama hat in Oslo eine schöne Predigt gehalten. Auch intellektuell war sein rhetorischer Beitrag zur Gewaltlosigkeit und zu den Grenzen des Pazifismus anregend. Dennoch konnte der US-Präsident nicht darüber hinwegtäuschen, wie absurd es ist, dass er nach nur elf Monaten im Amt und keinem einzigen greifbaren Erfolg den Friedensnobelpreis entgegennimmt. Er wollte auch gar nicht darüber hinwegtäuschen. Gleich zu Beginn seiner Rede gab er zu, dass er im Vergleich zu Albert Schweitzer, Martin Luther King, George C. Marshall und Nelson Mandela noch recht wenig zustande gebracht habe.

Der Anflug von Bescheidenheit ehrt ihn, auch wenn sie so offen zur Schau gestellt ist. Doch aus dieser Einsicht hätte er schon vor zwei Monaten, als ihm die frohe Botschaft aus Oslo hinterbracht wurde, die Konsequenzen ziehen sollen. Er hätte den Nobelpreis besser abgelehnt. Es wäre die einzig richtige Reaktion auf die überschwängliche Fanpost seiner norwegischen Groupies gewesen. Damit hätte Obama zweifach gepunktet: Der Ruhm, zum Nobelpreisträger ernannt worden zu sein, wäre ihm geblieben. Gleichzeitig hätte er gezeigt, dass er fähig ist, sich und seine Leistungen realistisch einzuschätzen.

Nicht die Welt wäre beleidigt gewesen, höchstens ein fragwürdiges Komitee, das aus Thorbjørn Jagland, Kaci Kullmann Five, Sissel Rønbeck, Inger-Marie Ytterhorn und Agot Valle besteht und sich anmaßt, für die Welt zu sprechen. Doch nicht einmal alle fünf norwegischen Christkinder wären gekränkt gewesen. Denn sie fällten keine einstimmige Entscheidung. Der Vorsitzende, Norwegens sozialdemokratischer Expremier Jagland, hatte darauf gedrängt – und musste die Entscheidung beim Festakt am gestrigen Donnerstag gewunden erklären: Das Komitee könne nicht immer warten, bis alle Prinzipien umgesetzt seien, sagte er. Der Preis sei als Anreiz gedacht.

Nun, etwas länger hätte das Quintett schon warten können. Wenn das Schule macht, wird das nächste Mal der Literaturnobelpreis für ein Exposé, für eine schnell notierte Romanidee auf einer Papierserviette verliehen. So gesehen hätte Obama eher als Autor ausgezeichnet werden sollen: für seine zwei Bücher und – gemeinsam mit seinem Ghostwriter Jon Favreau – für seine Reden. Im Grunde genommen hätte er gleich alle Medaillen abräumen können: den Preis für Physiologie und Medizin für sein gutes Aussehen, den für Chemie, weil er so gut mit den G20-Führern klarkommt, den für Wirtschaft, weil er den höchsten Schuldenturm aller Zeiten aufgebaut hat, und den Nobelpreis für (Meta-)Physik wegen seiner messianischen Versprechen.

Es sind unkritische Übertreibungen wie jene des Osloer Komitees, die zur Polemik einladen. Dabei ist Obama kein schlechter Präsident. Er hat seine Sache inmitten der schweren Rezession und zweier glückloser Kriege gut gemacht. Außenpolitische Durchbrüche sind in den ersten Monaten einer Amtszeit nicht zu erwarten gewesen. Das braucht Zeit, vor allem, wenn man an vielen Fronten gleichzeitig werkt und von weniger dialogfreudigen Regierungen wie der iranischen zunächst einmal getestet wird.

Deshalb hat Obama den Friedensnobelpreis auch noch nicht verdient. Bekommen hat er ihn nur, weil er nicht George W. Bush ist. Blickt man freilich genauer hin, setzt er die Außenpolitik Bushs teilweise fort. Schon sein Vorgänger hat den Dialog mit dem Iran und eine militärische Lösung in Afghanistan gesucht. Deshalb wenden sich jetzt ja auch viele Linke von Obama ab. Der US-Präsident hat es in seiner Osloer Rede erklärt: Er ist kein Mahatma Obama, er hält Kriege manchmal für notwendig, vor allem den in Afghanistan, wo er jetzt zusätzlich 30.000 US-Soldaten hingeschickt hat.


Obama wäre nicht der Erste gewesen, der einen Nobelpreis zurückweist. Das haben vor ihm schon zwei andere gemacht: 1964 der französische Schriftsteller-Philosoph Jean-Paul Sartre und 1973 Le Duc Tho, der mit US-Außenminister Henry Kissinger ein Friedensabkommen ausgehandelt hat. Es gebe keinen Frieden in Vietnam, sagte Ho Chi Minhs Unterhändler trocken und fuhr nicht nach Oslo. Kissinger hat die Auszeichnung allein entgegengenommen – und muss sich bis heute dafür rechtfertigen, dass er, der Friedensnobelpreisträger, der Ausweitung des Vietnam-Kriegs auf Kambodscha und Laos zugestimmt und Pinochets Militärputsch in Chile zumindest geduldet hat. Kissinger ist ein Beispiel dafür, dass sich ein Friedensnobelpreis als Fluch erweisen kann, weil die Flecken auf der weißen Weste danach umso stärker ins Auge stechen.

Auch Obama wird der Friedensnobelpreis noch mehr schaden als nützen.

Nobelpreis für Obama Seiten 1 und 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2009)

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