Während sich die USA auf den Afghanistan-Krieg konzentrieren, eskaliert vor der Parlamentswahl womöglich auch die Lage im Irak. Der Friedensnobelpreisträger ist zur Doppelstrategie gezwungen.
WASHINGTON. Auf dem Rückflug von Kabul legte US-Verteidigungsminister Robert Gates einen Zwischenstopp in Bagdad ein. Es sollte mehr als eine Geste sein, mehr als ein routinemäßiger Anstandsbesuch des Pentagon-Chefs bei seinen Truppen: ein Signal, dass Washington den Irak nicht aus seinem Radar verloren hat. Die jüngste Anschlagsserie in der irakischen Hauptstadt hat einen Konflikt in Erinnerung gerufen, der in den USA für so großes Ungemach gesorgt und die öffentliche Meinung polarisiert hat.
Militärexperten gehen davon aus, dass die Bombenattentate in Bagdad der Auftakt sein könnten für eine Terrorserie im Vorfeld der Parlamentswahlen im Irak am 7. März. Womöglich sind die US-Kriegsherren neben der Konzentration auf Afghanistan auch mit einer Verschärfung der Situation im Irak konfrontiert. Eine Eskalation im Frühjahr könnte sogar den US-Abzugsplan in Gefahr bringen. Präsident Barack Obama hat für den Sommer einen Truppenrückzug verkündet. Demnach werden jedoch 50.000 US-Soldaten bis auf Weiteres im Irak stationiert bleiben, um den Übergang zu sichern und der irakischen Armee mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Seit Obamas Amtsantritt war der Afghanistan-Krieg in den USA so sehr in den Mittelpunkt der Debatte gerückt, dass der Irak-Krieg beinahe in Vergessenheit geriet. Das ist nicht ohne bittere Ironie: Unter George W. Bush galt der Afghanistan-Krieg jahrelang als der „vergessene Krieg“. Der Irak-Krieg hat die militärischen und finanziellen Ressourcen gebunden, die in Afghanistan ein Vakuum hinterlassen haben. In den vergangenen Jahren stürzte das Land immer stärker ins Chaos.
„Die neue US-Regierung hat ein Desaster geerbt. Wir haben einen glänzenden Erfolg vermasselt. Wir haben es mit einem Aufstand zu tun, der sich nie erheben hätte dürfen“, urteilt Bruce Riedel. Der ehemalige CIA-Mann, inzwischen ein Analytiker an der liberalen Brookings Institution, hat die Afghanistan-Strategie Obamas mitentwickelt. Seine Einschätzung der Lage in Afghanistan fällt düster aus: „Alle Indikatoren zeigen, dass die Dynamik zugunsten der Taliban läuft.“
Generäle im Kreuzverhör
Bei einer Diskussion in Washington zeichnete Riedel das Szenario eines Misserfolgs der Nato-Truppen und eines Kollapses der Regierung des Präsidenten Hamid Karzai. Zugleich konstatiert er jedoch, dass eine Mehrheit der Afghanen die Taliban und eine Rückkehr zu einem islamischen Regime ablehnen. Der Widerstand sei auf einen Teil der paschtunischen Bevölkerung begrenzt.
Während Verteidigungsminister Gates im Kriegsgebiet auf Truppenbesuch weilte, versuchten seine Topmilitärs bei den Senats-Hearings in Washington Zuversicht zu verbreiten. Im Kreuzverhör skeptischer Senatoren warb David Petraeus, der Oberkommandierende der US-Truppen im Nahen und Mittleren Osten, um moralische Unterstützung. „Die Lage wird noch schlechter werden, ehe sie sich verbessern wird“, prognostizierte er. Die USA müssten sich im Frühjahr auf noch mehr Aufruhr am Hindukusch und auf schwere Kämpfe im Sommer einstellen. Dann wird das US-Kontingent das Plansoll der Truppenstärke erreicht haben.
„Der Widerstand ist stärker als im Irak“, meint Petraeus, der zusammen mit Stanley McChrystal die Irak-Offensive ausgetüftelt hat. Als sein Untergebener führt McChrystal nun das Kommando in Afghanistan. Beide Generäle baten die Politik um Geduld: Es werde länger dauern, bis Fortschritte erzielt würden. Ende des nächsten Jahres wird der Kriegsrat in Washington eine Zwischenbilanz vornehmen. Freilich droht der Afghanistan-Krieg an der politischen Nebenfront, die Demokraten bei den Midterm-Elections – den Zwischenwahlen im Kongress – in ein Schlamassel zu stürzen.
McChrystal streute bei der Anhörung Salz in die Wunden: Erst wenn die Terror-Ikone Obama bin Laden gefangen oder tot sei, werde al-Qaida besiegt sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2009)