Macron umwirbt und spaltet die Osteuropäer

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Emmanuel Macron. (c) APA/AFP/BERTRAND GUAY (BERTRAND GUAY)
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Frankreichs Präsident wirbt bei den jüngsten und ärmsten EU-Mitgliedern um die Reform von Schengen und des Arbeitsmarkts. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern empfindet er die Wendestaaten nicht als Bedrohung.

Brüssel/Wien. Salzburg, Bukarest, Sofia: Emmanuel Macrons jüngste Staatsreise führt von Etappe zu Etappe tiefer in jene Region, welcher französische Staatspräsidenten bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Mittel- und Osteuropa spielt im strategischen Denken der politischen Eliten Frankreichs seit dem Ende des Kalten Krieges und der Samtenen Revolution nur insofern eine Rolle, als die schrittweise Aufnahme der früheren Moskauer Satellitenstaaten und der drei einstigen baltischen Sowjetrepubliken als Schwächung der französischen Vormachtstellung in Europa seit Beginn des Einigungswerks misstrauisch beäugt wird.

„Sie haben eine gute Gelegenheit ausgelassen, den Mund zu halten“, ätzte Jacques Chirac anlässlich der von ihm abgelehnten US-geführten Irakinvasion in Richtung der Osteuropäer, die sich Washingtons Kriegszug angeschlossen hatten. Die Ablehnung der EU-Verfassung durch das französische Volk im Jahr 2005 war zu einem Gutteil mit der Sorge vor dem starken Zustrom billiger osteuropäischer Arbeitskräfte zu erklären; der „polnische Installateur“ wurde zum Symbol der Unterwanderung französischen Hochlohnwohlstandes. Chiracs Nachfolger, Nicolas Sarkozy, bemühte sich zwar darum, das Verhältnis vor allem zu Polen zu verbessern; die Idee eines verstärkten Weimarer Dreiecks Berlin-Warschau-Paris prägte seine Ostpolitik. Eine wirkliche Hinwendung zu den jüngsten und ärmsten Mitgliedstaaten der Union wagte er aber ebenso wenig, wie es François Hollande ihm folgend tat.

Wende in Frankreichs Ostpolitik

Macron geht einen gänzlich anderen Weg. Auf seiner jüngsten, am Freitag in Bulgarien zu Ende gegangenen Reise legte er seine pragmatische Sicht auf die Probleme Europas an den Tag. „Die Entsendung von Arbeitnehmern und Schengen sind zwei voneinander unabhängige Dossiers, die seiner Meinung nach eine kohärente Antwort auf europäischer Ebene erfordern“, sagte Charles de Marcilly von der französischen Fondation Schuman zur „Presse“. „Macron hat etwas getan, was seine Vorgänger nicht gemacht haben, nämlich allen Mitgliedstaaten die Hand gereicht. Das ist eine Fortsetzung seiner Wahlkampfversprechen.“

Macrons Bestreben, die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern aus einem EU-Land in ein anderes zu reformieren, ist bekannt. In erster Linie geht es ihm darum, Rechtsmissbräuche – allen voran die Gründung von Scheinfirmen – zu beenden. Doch dem neuen Präsidenten ist bewusst, dass die im Jahr rund 286.000 nach Frankreich entsendeten Arbeitnehmer nicht für die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit dort verantwortlich sind; das hat er in Salzburg selbst gesagt. „Das ist eine sehr symbolische Richtlinie“, verweist de Marcilly auf die politische Sprengkraft dieses Dossiers.

In der Frage, wie Europa mit dem Migrationsdruck umgehen soll, erwartet de Marcilly von Macron vorerst keine Fundamentalreform: „Er wird kurzfristig für eine Verstärkung der Kontrollen an Brennpunkten und Ähnliches eintreten.“ Mittelfristig allerdings werde Frankreich darauf drängen, dass Europa die Rückführung abgelehnter Asylwerber ebenso beschleunige, wie es seine Außengrenzen stärker schützen müsse.

Einen Keil in Visegrád-Gruppe treiben

Eine unausgesprochene, aber durchaus erwünschte Nebenwirkung von Macrons Ouvertüren wäre die Schwächung der mitteleuropäischen Visegrád-Vierergruppe, bestehend aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei – die zwei erstgenannten Länder tendieren stark Richtung Nationalpopulismus, die zwei letztgenannten bis dato nicht. Das jüngste Treffen in Salzburg, zu dem die Regierungschefs Tschechiens und der Slowakei eingeladen wurden, passte in dieses Schema – und lag auch im Interesse der Eingeladenen, denn Prag und Bratislava wollen erstens eine möglichst gute Zusammenarbeit mit Brüssel und Berlin und möchten zweitens nicht von Warschau und Budapest vereinnahmt werden.

Vor allem für Polens Regierung wäre das Ausscheren der südlichen Nachbarn ein Rückschlag, denn die Chefideologen der Regierungspartei PiS wollten die ost- und südosteuropäische „Zwischenmeer“-Region als Gegengewicht zu Westeuropa und somit als neuen Machtblock innerhalb der Union etablieren: unter Polens Führung.

Ob dieses Kalkül aufgeht, ist fraglich. In Salzburg betonten die Regierungschefs sowohl der Slowakei als auch Tschechiens, dass sie die Visegrád-Gruppe nicht zersplittert sehen wollten. Macron jedenfalls ließ am Freitag in Sofia keine Zweifel daran, dass er zu viel Nähe zu Polen für keine gute Idee hält: „Polen ist nicht das Land, das die Richtung vorgibt, in die Europa sich entwickelt. Ganz im Gegenteil: Polen ist ein Land, das gegen die europäischen Interessen geht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2017)

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