Leitartikel

Michael Häupls sonderbares Gespür für den richtigen Zeitpunkt

(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Der Wiener Bürgermeister übergibt im Jänner den Vorsitz der Landespartei. Wenn er nicht schnell die Nachfolge regelt, gibt es einen offenen Machtkampf.

Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Parteifreund her. Und es wird vielleicht noch viel schlimmer. Da versucht Bundeskanzler Christian Kern mittels Frühintensivwahlkampfs, irgendwie von seinen Kampagnenpannen abzulenken, und dann tritt Bürgermeister Michael Häupl auf. Statt zum alles entscheidenden Wahlkampf der Wiener SPÖ für den Wiener Kandidaten Kern zu blasen, erklärt er völlig ungefragt, dass er bereits im Jänner 2018 als Wiener Landeschef zurücktreten werde. Der Rücktritt ist keine Neuigkeit, es war bekannt, dass dieser etwa drei Monate nach der Wahl erfolgen würde.

Aber Häupl ist ein mit allen Wassern gewaschener Medienprofi und weiß um die Symbolik solcher Aussagen – deshalb ist diese Bekanntgabe mehr als nur bemerkenswert. Immerhin hängt von Häupl und seinen Wiener Genossen de facto das Resultat für Kern bei der Nationalratswahl am 15. Oktober ab. Rennen die zerstrittenen Wiener nicht, dürfte es ein Debakel werden. Ob die Sektionen aber geschlossen für das alte Schlachtpferd Häupl laufen, das sich ausgerechnet jetzt fix in den Stall zurückzieht, darf bezweifelt werden.

Und: Es gibt das ungeschriebene Gesetz, dass in einem Wahlkampf parteiintern keiner von den Botschaften, den Themen und der Person des Spitzenkandidaten ablenken darf. Die Grünen hielten in diesem Sinn etwa ein gutes Jahr für Alexander Van der Bellen durch.

Also warum tritt Häupl mit seinem Abschied gerade jetzt vor die Medien? Sich dazu erklären wird er nie, da ähnelt er – natürlich nicht optisch und auch nicht in seinem Lebenswandel – der Sphinx. Es kann nur zwei Gründe geben: Entweder er musste schnell handeln, weil im Rathaus etwa ein Stadtratsputsch vorbereitet wird, der im Gegensatz zu einem Militärputsch zwar unblutig verlaufen kann, aber nie unblutig zu beenden ist. Das ist aber ausgeschlossen, denn irgendjemand hätte wohl die „Kronen Zeitung“ vorab informiert.

Oder aber: Häupl ist ziemlich sicher, dass die SPÖ die Nationalratswahl verlieren wird, und will danach nicht mit einem baldigen Rücktritt den Anschein erwecken, er hätte etwas mit der Niederlage zu tun. Da ist ihm schon lieber, gleich selbst das Handtuch zu werfen.

Häupl setzt sich mit diesem engen Zeitplan auch ein klares Zeitfenster, die Nachfolge noch einmal selbst zu regeln. Als mögliche Wunschnachfolger gelten SPÖ-Klubchef Andreas Schieder und – eine mutige Entscheidung – der junge Bildungsstadtrat Jürgen Cernohorszky. Beide sind in den unzufriedenen Bezirken, die einst hinter Werner Faymann und weniger hinter Michael Häupl gestanden sind, nur bedingt beliebt. Beide würden wohl zögern, würden diese Bezirke, die bei einem Parteitag wohl die Mehrheit der Delegierten zusammenbrächten, deren Wunschkandidat, Stadtrat Michael Ludwig, für eine Kampfabstimmung aufstellen. Doch auch er zögert, eine direkte Konfrontation einzugehen.

Damit könnte als Kompromisskandidatin Nationalratspräsidentin Doris Bures zum Zug kommen, die zwar eindeutig dem Lager Faymann zuzurechnen ist, aber dank ihrer Amtsführung und ihres Engagements für Frauenthemen immer mehr Unterstützer in Wien hinter sich versammeln konnte. Sie wäre wohl eine gute Übergangskandidatin, das rote Wien hätte erstmals eine Frau an der Spitze. Wirklich beneidenswert ist keine(r), die oder der den Job übernimmt. Der Altbauer Häupl will noch ein paar Monate werken. Ein enormes Sparpaket wird notwendig werden, um die maroden Finanzen in den Griff zu kriegen.

Vor allem aber wird die neue Bürgermeisterin den tiefen Riss der Partei überwinden müssen. Das heißt nicht nur, die gegenseitigen Verletzungen zu heilen, sondern auch eine inhaltliche Festlegung zu treffen: Wie links soll die Wiener SPÖ sein? Soll Rot-Grün weiter die favorisierte Regierungsform sein, Zurückdrängung des Individualverkehrs und offene Ausländerpolitik inklusive? Oder wird etwa das Thema Sicherheit das Zentrale der Zukunft? Michael Häupl verwaltete und feierte Wiens Boom, der Nachfolger muss mit den Folgen umgehen lernen und eine neue Ära einläuten. Eine wahre Herkulesaufgabe.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2017)

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