Gastkommentar

Im Donbass droht ein ökologisches Desaster

Initiative des österreichischen OSZE-Vorsitzes zur Reduzierung des Katastrophenrisikos in der Ostukraine.

Die Krise in und um die Ukraine dauert nun schon vier Jahre. Das mediale Interesse an dem Konflikt hat zwar nachgelassen, die Kampfhandlungen jedoch nicht. Täglich werden zahlreiche Waffenstillstandsverletzungen gemeldet, wobei die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist und oft ins Kreuzfeuer gerät. Unbewaffnete Beobachterinnen und Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden bedroht und bei der Ausübung ihrer Aufgaben behindert.

Entgegen dem zur Stabilisierung und Befriedung der Region abgeschlossenen Minsker Abkommen befinden sich nach wie vor schwere Waffen in der Konfliktregion, Munition wird nachgeliefert und Minen werden gelegt. Der politische Prozess stagniert trotz der Verhandlungen innerhalb des Normandie-Formats (Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine). Auch die regulären Zusammenkünfte der Trilateralen Kontaktgruppe (Ukraine, Russland und die OSZE – inklusive Repräsentantinnen und Repräsentanten gewisser Regionen des Donbass) konnten bisher keine nachhaltige Beruhigung vor Ort herbeiführen.

Infrastruktur unter Beschuss

Es wird Zeit brauchen, bis die Diplomatie Früchte trägt. Andererseits besteht jedoch dringender Handlungsbedarf, um die Verfestigung der humanitären Krise und eine drohende Umweltkatastrophe im Donbass zu verhindern.

Eines der Zentren der Schwerindustrie in Europa wurde zum Schauplatz andauernder Kampfhandlungen. Grundlegende Infrastruktur steht regelmäßig unter Beschuss, Chlorspeicher, Chemiewerke, Verhüttungsanlagen, Schadstoffdeponien und Kohleminen laufen Gefahr, ernsthaft beschädigt zu werden – mit entsprechend schwerwiegenden Konsequenzen für die Umwelt in der Region. Wir stehen hier vor einer tickenden Zeitbombe.

Da sich die kämpfenden Parteien unmittelbar gegenüberstehen, haben Zwischenfälle auf der einen Seite des Konflikts auch Auswirkungen auf die andere und darüber hinaus. So wurde unter anderem dieses Jahr bereits ein Gebäude der Donezker Filtrierstation mit sieben Tonnen Chlorgas von Granatfeuer getroffen. Nicht auszumalen sind die Folgen einer Explosion dieses Speichers, die unweigerlich zu einer Katastrophe geführt hätten.

Kontaminiertes Trinkwasser

Hunderttausende Menschen wären betroffen, sollten Chemikalien in die Flüsse und das Grundwasser gelangen. Die Überflutung der Kohleminen könnte das Grundwasser kontaminieren und verheerende Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung großer Städte, aber auch die Landwirtschaft haben – selbst im benachbarten Russland. Umweltkatastrophen kennen keine Grenzen. Deshalb sollten alle Akteure in der Region ein Interesse daran haben, ein ökologisches Desaster zu vermeiden.

Wir müssen daher einer drohenden Katastrophe vorgreifen, ehe es zu spät ist. Als ersten, unabdingbaren Schritt müssen die beteiligten Parteien des Konflikts den nicht militärischen Charakter lebenswichtiger Infrastruktur anerkennen und diese verschonen. Diesbezügliche Einrichtungen müssen als Sicherheitszonen respektiert und Kommunikationskanäle für Notfälle eingerichtet werden. Dies erfordert auch die Bereitstellung adäquater Notfalldienste und der dazugehörenden Ausrüstung. Die Gefahren für grundlegende Versorgungsgüter wie Wasser und Elektrizität dürfen nicht unterschätzt werden. Aufgrund der eisigen Temperaturen brach beispielsweise im vergangenen Winter die Stromversorgung rund um Avdiivka zusammen. Stromleitungen wurden repariert, durch Beschuss wieder zerstört und anschließend erneut repariert. Tausende Menschen mussten ohne Heizung und Trinkwasser auskommen.

Pumpstationen im Visier

In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Wasseraufbereitungsanlagen und Pumpstationen innerhalb der Konfliktzone getroffen. Über eine Million Menschen auf beiden Seiten des Konflikts sowie eine halbe Million flussabwärts in Mariupol sind von der Wasserversorgung im südlichen Donbass abhängig. Diese ist in ständiger Gefahr, zerstört zu werden.

Mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahre 1986 erlebte die Ukraine eine der schrecklichsten vom Menschen verursachten Katastrophen der jüngeren Vergangenheit. Nun leidet die Bevölkerung unter einem Krieg, der die Beziehungen zwischen dem Donbass und dem Rest der Ukraine unterbindet, das Verhältnis zwischen Kiew und Moskau zerrüttet und die Beziehungen zwischen Russland und vielen europäischen und anderen Staaten schwer beeinträchtigt.

Deshalb müssen alle involvierten Parteien ihr Augenmerk auf das Wohl der Bevölkerung in der betroffenen Region legen und die politischen Konflikte in den Hintergrund stellen. Aus diesem Grund setzt sich der österreichische OSZE-Vorsitz mit Nachdruck für eine Initiative zur Minimierung des Katastrophenrisikos in der Ostukraine ein.

Intensive Beratungen

Die Trilaterale Kontaktgruppe (Ukraine, Russland, OSZE) hat diesen Ansatz aufgegriffen und wird darüber in ihren kommenden Sitzungen intensiv beraten. Auf Fakten beruhende Regelungen müssen so schnell wie möglich umgesetzt werden, um die aus einem tagtäglich drohenden Desaster resultierende Vergiftung der ohnehin schon schwer leidenden Bewohner des Donbass zu verhindern.

Um den Frieden in der Ostukraine wiederherzustellen, müssen die Parteien die Kampfhandlungen einstellen. Der erste wichtige Schritt in diese Richtung wäre die Einstellung der Bombardierung und Zerstörung grundlegender und lebenswichtiger Infrastruktur.


Der Autor ist österreichischer Außenminister und amtierender Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2017)

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