Der Consulter KPMG hat in Großbritannien lebende EU-Ausländer zum Brexit befragt. Fazit: Je höher das Bildungsniveau und das Jahresgehalt, desto größer ist die Bereitschaft zu einer Rückkehr in ihre Heimat.
Wien. Geschätzte 2,4 Millionen Bürger aus anderen EU-Mitgliedstaaten leben und arbeiten derzeit in Großbritannien – und müssen sich nun Strategien zum Umgang mit dem für März 2019 avisierten Brexit überlegen. Während die Mehrzahl der EU-Ausländer zunächst einmal auf das Prinzip Hoffnung setzt und abwarten will, ob der britische EU-Austritt negative Konsequenzen haben wird, streckt eine kleine, aber nicht unbeträchtliche Minderheit bereits ihre Fühler Richtung Kontinentaleuropa aus. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls das Beratungsunternehmen KPMG, das eine Studie über den Umgang der EU-Expats mit dem Brexit erstellt hat – das Papier wurde vor wenigen Tagen veröffentlicht.
Die Studienautoren befragten 2000 in Großbritannien lebende EU-Ausländer nach ihren Zukunftsplänen, in einem zweiten Schritt wurden 1000 Personen in insgesamt zehn EU-Mitgliedstaaten unter anderem darüber befragt, ob das Vereinigte Königreich nach wie vor eine attraktive Destination sei. Von den Expats gaben 45 Prozent an, auch nach dem EU-Austritt in Großbritannien bleiben zu wollen. Und acht von zehn außerhalb von Großbritannien Befragten sehen das Land trotz Brexit nach wie vor als lohnendes Ausreiseziel an.
Aufs erste Hinsehen scheint das Land also wenig bis gar nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt zu haben. Doch die Detailauswertung der Studie zeigt, dass dieser erste Eindruck zumindest teilweise trügerisch ist. Denn 35 Prozent der in Großbritannien lebenden EU-Ausländer machen sich mittlerweile Gedanken über eine Rückkehr nach Europa. Und acht Prozent sind bereits dabei, diese Rückkehr in die Wege zu leiten – beide Gruppen machen zusammen rund eine Million Menschen aus.
Für die britische Wirtschaft, die von den Qualifikationen der ausländischen Arbeitskräfte zehrt, könnte diese Entwicklung noch problematisch werden – denn je höher der Bildungsgrad und das Gehalt, desto größer ist die Bereitschaft für eine Flucht aus Brexitannien. So gaben 52 Prozent der Befragten mit einem Jahresverdienst von 50.000 bis 100.000 Pfund an, die Ausreise zu erwägen (42 %) bzw. sie definitiv zu planen (10 %). In der Einkommenskategorie 100.000 bis 200.000 Pfund waren es bereits 55 Prozent (davon 12 % definitiv ausreisewillig), bei den Topverdienern jenseits der 200.000-Pfund-Marke insgesamt 77 Prozent. Die Branche, die von einem Brain-Drain am stärksten betroffen sein dürfte, ist demnach der IT-Bereich.
Bei EU-Ausländern mit abgeschlossenem Master- bzw. Doktoratsstudium lag der Anteil jener, die ihre Rückkehr konkret vorbereiten, bei 15 Prozent. Zum Vergleich: Bei EU-Ausländern mit Maturaniveau bzw. Lehrabschluss lag der Anteil der zur Rückkehr Entschlossenen bei fünf bzw. vier Prozent. Hinzu kommt ein deutliches Altersgefälle: Elf Prozent der 18- bis 24-Jährigen schmieden bereits Ausreisepläne, bei den über 55-Jährigen sind es sieben Prozent.
EuGH als Garant der Rechte
Die KPMG-Studie verdeutlicht, dass das seit Monaten andauernde Hickhack um die Rechte und Pflichten der in Großbritannien lebenden EU-Bürger unerwünschte Nebenwirkungen hat. So gaben 51 Prozent der Befragten an, sie würden sich von ihren britischen Arbeitgebern mehr öffentlich artikulierte Unterstützung wünschen – 39 Prozent wollen sogar eine explizite Betonung der Wichtigkeit europäischer Arbeitskräfte für die britische Konjunktur. Und 90 Prozent der Befragten gaben an, der EuGH solle nach dem Brexit ihre Rechte garantieren. (la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2017)