Mittels Schallkanonen sucht die Ölindustrie nach neuen Vorkommen, und das Militär spürt damit U-Boote auf.
Hupende Autos, E-Gitarre spielende Nachbarn oder zum Beispiel Einflugschneisen werden oft als Störung wahrgenommen. Im Wunsch nach Ruhe sehnt man sich gerade in der Urlaubszeit ein paar Tage am Stillen Ozean herbei. Doch der romantische Blick auf die Meeresoberfläche trügt, denn unter Wasser ist es in vielen Regionen des blauen Planeten laut. Sehr laut.
Die intensivsten Lärmquellen werden dabei vom Militär zum Aufspüren von U-Booten und von der Ölindustrie zur Suche nach Öl- und Gasvorkommen auf dem Meeresboden eingesetzt und erreichen mehr als 230 Dezibel.
230 Dezibel sind tödlich
230 Dezibel – was bedeutet das? Dazu müssen wir uns kurz in Erinnerung rufen, dass die Dezibelskala logarithmisch ist, d. h., 20 dB haben nicht die doppelte, sondern die zehnfache Schallenergie von 10 dB. Liegt die Schmerzgrenze des menschlichen Gehörs bei 130 dB, ist es kaum vorstellbar, welcher Lärmbelastung Wale und andere Meerestiere ausgesetzt sind, wenn über Wochen hinweg alle zehn Sekunden Explosionsschall aus sogenannten Airguns (Schallkanonen) mit mehr als 230 dB durch den gesamten Wasserkörper geschickt wird, um Öl- und Gaslagerstätten tief im Meeresboden aufzuspüren.
Kein Wunder, dass derart gewaltiger Lärm enorme Auswirkungen auf die Meerestiere hat. Bisher galt die Sorge der Experten den negativen Folgen für Meeressäuger, da diese in einer akustischen Welt leben und für ihre Kommunikation, Nahrungssuche etc. auf Schall angewiesen sind. Die dokumentierten Auswirkungen reichen von der Überlagerung der Kommunikation über das Vertreiben aus Gebieten (ab 120 dB) bis hin zu physischen Schäden und direkter Tötung.
Zwei heuer erschienene Publikationen geben aber noch weit darüber hinaus Anlass zu großer Sorge. In einer Untersuchung an Zooplankton zeigte sich, dass eine einzige Airgun signifikante Abnahmen der Tierzahlen verursachte – um mehr als die Hälfte bei 58% der beobachteten Arten. Besonders erschreckend: Die Larvenstadien von Krill, einer essenziellen Tierart im Nahrungsnetz der Meere, waren komplett vernichtet worden. Vor North Carolina wurde beobachtet, dass nach dem Einsatz von Airguns um drei Viertel weniger Fische abends ans Riff kamen.
Damit erhärten sich Befürchtungen, dass sich der Lärm nicht nur auf Meeressäuger, sondern auch auf Fischbestände negativ auswirkt, mit allen Folgen für die Ernährungssicherheit der Menschen.
Wie reagiert die Politik? Die Schlagwörter Energiewende und Klimaschutz werden viel bemüht, doch die Ölsuche mittels Schallkanonen schreitet ungebremst voran. Es wird in immer tieferen Meeresregionen gesucht (weit tiefer als im Golf von Mexiko – Stichwort Deepwater Horizon), und das besonders im Mittelmeer.
Dort regt sich aber zunehmend Widerstand. Auf den Balearen kämpft die Zivilgesellschaft, mit Unterstützung der Tourismuswirtschaft, erfolgreich gegen die Ölsuche in den umliegenden Gewässern. In den vergangenen drei Jahren wurden mehrere Ansuchen abgewiesen. Ein generelles Moratorium für die Ölsuche im spanischen Mittelmeer scheiterte aber – trotz breiter Unterstützung im Parlament – an einem Veto der regierenden Volkspartei.
Hoffnung auf neue Politik
Und während Ölfirmen ihre Suche in Gewässern südosteuropäischer Länder, wie Albanien, Griechenland oder Montenegro intensivieren, verkündet Nicolas Hulot, neuer Umweltminister Frankreichs, eine Abkehr von der Ölsuche im Meer. Der Schritt wäre im Einklang mit dem Pariser Klimavertrag und ein wichtiger Beitrag für die Erhaltung mariner Vielfalt und der Vision vom Stillen Ozean.
Der Autor ist Konsulent der Meeresschutzorganisation Ocean Care und Gründer der Agentur Shifting Values.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2017)