Streitgespräch: Sparen als „ethischer Supergau“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Zwei Gesundheitspolitiker diskutieren die Grenzen der Zwei-Klassen-Medizin und warum es zu einer gemeinsamen Planung aller Anbieter keine Alternative gibt.

„Die Presse“: Bundeskanzler Faymann hat einen Generationenfonds angeregt. Dafür will er den Spitälern eine Milliarde Euro wegnehmen. Eine gute Idee?

Sonja Wehsely: Im Prinzip hat Faymann den Wiener Weg skizziert: im Pflegebereich Betten auf-, im Akutbereich abbauen. Ob man dafür einen Fonds einrichten muss, ist für mich eine technokratische Frage.

Erwin Rasinger: Hätte der Bundeskanzler nur eine Sekunde nachgedacht, wäre ihm eingefallen, dass der Finanzausgleich bis 2013 gilt. Und da wollen die Länder eher mehr Geld als weniger. Also ist Faymanns Sparansage unseriös. Genauso wie die berühmten drei Milliarden, die der Rechnungshof sparen will. Dafür müsste man jedes dritte Spital sperren.

Wehsely: Ihre Kritik am Rechnungshof teile ich, nicht die am Kanzler. Jeder, der behauptet, es gibt eine adäquate Gesundheitsversorgung für alle um weniger Geld, sagt nicht die Wahrheit. Entscheidend ist, den Kostenanstieg in den Griff zu bekommen. In Wien liegen wir da mit plus 5,8 unter dem Österreichschnitt von 6,7 Prozent.

Faktum bleibt, dass die Österreicher zu den Weltmeistern im Spitalliegen zählen. Braucht wirklich jeder Bürgermeister sein Gemeindespital?

Wehsely: Über die jüngste OECD-Studie musste ich schon schmunzeln. Größte Lebenserwartung: Japan; die meisten Spitäler: Japan; längste Liegedauer: Japan. Da könnte man den Schluss ziehen: Je länger die Leute im Spital liegen, desto älter werden sie. Das glaube ich wirklich nicht. 80 Prozent der Wiener Patienten, die am Wochenende in Ambulanzen kommen, brauchen kein Spital. Hier setze ich auf fächerübergreifende Ärztegesellschaften.

Rasinger: Dass wir 60 Prozent mehr Spitalsaufnahmen als der EU-Schnitt haben, hat zwei Gründe: Erstens ließen die Krankenkassen in den letzten 19 Jahren die Zahl der Kassenärzte gleich. Und zweitens ist unsere Versorgung weit besser als im OECD-Schnitt. Trotzdem haben wir Handlungsbedarf: Das Sparprogramm der Kassen wird alles, was Wien an Verbesserungen plant, konterkarieren.

Wehsely: Ich bin Ihrer Meinung. Was sagt der Finanzminister dazu?

Rasinger: Der kann ja keine Arztstellenplanung machen.

Wehsely: Nicht die SPÖ hat die Kassen unter Sparzwang gebracht.

Wien hat einen umfassenden Plan (RSG) erstellt, der alle Gesundheitsaufgaben einschließt. Noch steht das aber nur auf dem Papier.

Wehsely: Es ist ein enormer Fortschritt, dass sich Stadt Wien, Kassen und Ärztekammer nicht weiter gegenseitig die heiße Kartoffel zuschieben. Ich bin aber überzeugt, dass wir nur in zweiter Linie ein Ausgabenproblem haben. In erster Linie ist es ein Einnahmenproblem. Wir müssen darüber reden, ob Gesundheit tatsächlich nur aus Arbeitseinkommen zu speisen ist.

Rasinger: Zuerst sollten wir die Solidaritätsfrage klären. Schließlich ist im 20.Wiener Bezirk die Lebenserwartung um vier Jahre kürzer als im 19.Bezirk.

Es gibt eine Zwei-Klassen-Medizin?

Rasinger: Natürlich gibt es die. Die Wiener Variante ist mir aber lieber als die englische. Ich wünsche mir nur, dass sie klein gehalten wird.

Wehsely: In Wien bekommt jeder die beste medizinische Versorgung.

Rasinger: Gesunde Junge denken anders als kranke Ältere. Sind sie aber einmal krank, rufen sie sofort nach dem Notarzthubschrauber. Ich verstehe das. Wir haben nichts mehr zu verlieren als unser Leben.

Sie fürchten, uns gehen die Mittel aus, um das Niveau zu halten?

Wehsely: Es ist eine gesellschaftspolitische Frage, was uns Gesundheit wert ist. Was ich mir in keinem Fall wünsche, ist ein System wie in den USA.

Rasinger: Gesundheit ist schwer vorhersehbar. Keiner weiß, wann er einen Herzinfarkt bekommt.

Ist mehr privat, weniger Staat nicht auch fürs Gesundheitswesen gültig?

Rasinger: Für mich wäre es ein ethischer Supergau, wenn jemand sterben muss, weil er arm ist.

Wehsely: Genau – Ja zur Effizienzsteigerung, Nein zur Rationierung.

Rasinger: Man muss sich außerdem fragen, ob es sinnvoll ist, jeden Berg zu untertunneln statt in die Gesundheit zu investieren. Das ist der Wirtschaftsfaktor der Zukunft. Jeder zehnte Arbeitsplatz ist jetzt schon in diesem Bereich.

Bevorzugen Sie beide die viel gepriesene Finanzierung aus einer Hand?

Wehsely: Das ist bloß ein Schlagwort. Mir ist die gemeinsame Planung des ambulanten und des Spitalsbereichs viel, viel wichtiger.

Rasinger: Dass ein Zahler nicht unbedingt mehr Effizienz bedeutet, ist eindrucksvoll in England zu sehen. Unser Problem sind die Mauern zwischen den Ländern als Spitalserhaltern und den Krankenkassen als Zahlern der Ärzte. Jeder versucht dem anderen die Kosten zuzuschieben. Dabei ist klar, dass alles, was außerhalb des Spitals zu machen ist, billiger ist. Just dort fährt man aber ein rigoroses Sparprogramm.

Wehsely: Die Stadt bekommt nur 18 Prozent der Kosten der Spitalsambulanzen abgegolten. Versorgungswirksame Ärztegesellschaften wären mir mehr als recht. Ich kann mir vorstellen, dass Länder und Kassen über ihren Schatten springen und in einen gemeinsamen Topf einzahlen, um dieses Gezerre um die Kosten zu verhindern.

Rasinger: Wahrscheinlich wäre es sogar gescheiter, die Stadt gäbe der Krankenkasse Geld, bevor sie neue Spitäler baut.

Wehsely: Der Standort bestimmt den Standpunkt. 80 Prozent der Patienten sollten statt in Spitalsambulanzen beim niedergelassenen Arzt sein. So gesehen erwarte ich mir Geld von den Kassen.

Was muss sich also ändern?

Wehsely: Regionale Strukturpläne wie in Wien müssten Vorschrift für jede Bedarfsplanung werden.

Rasinger: Und wir müssen mehr Ziele definieren, wie wir es im Regierungsprogramm zur Verhinderung vieler Krankheiten schon gemacht haben.

Der Effekt ist bisher mäßig. Die Österreicher werden immer dicker, rauchen und trinken mehr, leben insgesamt ungesünder.

Wehsely: In der Prävention sind wir in Österreich schlecht. Solange aber in Schulen Softdrink-Automaten stehen und Schulbuffets außer ungesund nur ungesund sind, wird Zureden nichts nützen.

Rasinger: Es darf nicht zum guten Ton gehören, dass 15-Jährige rauchen. Um das zu ändern, bräuchten wir zum Beispiel mehr Werbekampagnen. Der Fonds Gesundes Österreich hat aber nur sieben Millionen Euro zur Verfügung bei Gesundheitsausgaben von 26 Milliarden Euro. Das ist lächerlich.

Wie wäre es mit Anreiz- oder Bestrafungssystemen?

Rasinger: Eine Gesundheitspolizei ist denkunmöglich. Das Einzige, was objektiv zu messen ist, ist das Übergewicht. Wie viel einer raucht oder trinkt, ist schwer nachzuweisen. Außerdem: Es bestraft sich jeder selbst, der ungesund lebt.

Wehsely: Jeden Tag eine Turnstunde brächte mehr als alles andere. Rasinger: Sport ist ja keine Disziplinierungsaktion asketischer Ärzte. Das muss man jenen zwei Drittel beibringen, die absolut nichts für ihre Gesundheit tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2009)

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