Grätzeltour

Wo in Wien einst Köpfe rollten und Seelen heilten

Leonie Bramberger auf der Freyung:1683 wurden hier "Verräter" im Zusammenhang mit Türkenbelagerung per "Schnellgalgen" exekutiert.
Leonie Bramberger auf der Freyung:1683 wurden hier "Verräter" im Zusammenhang mit Türkenbelagerung per "Schnellgalgen" exekutiert.(c) Christopher Dickie
  • Drucken

„Am Galgen“ heißt das Stück, in dem Künstlerin Leonie Bramberger (Das Planetenparty Prinzip) Wiens einstige Hinrichtungsstätten thematisiert. Ein Streifzug durch den 1. und 9. Bezirk samt Zeitreise ins „göttliche“ Rechtssystem.

Der Würstelstand am Hohen Markt im 1. Bezirk gilt als einer der besten Wiens. Geschmaust wurde am Markt vermutlich schon ab dem Mittelalter  – auch, wenn im „Schrannenhaus“, Hoher Markt Nr. 5, ein Delinquent verurteilt wurde. Ob Köpfen, Rädern oder gar Vierteilen: wurde die „göttliche Ordnung“ wieder hergestellt, nahm das Volk regen Anteil.

„Die öffentliche Exekution sollte das Volk beruhigen und zeigen, dass die Obrigkeit in der Lage war, die kosmische, göttliche Ordnung wieder her zu stellen. Erst später wurden Hinrichtungen zu einem Spektakel“, erklärt Künstlerin Leonie Bramberger, die „rund um die Bühne“ arbeitet: Schauspiel, Bühnenbild, Konzept, Kostüm. „Ein Verbrechen zerstörte im Mittelalter die Ordnung, und um Gott zu versöhnen, musste es gesühnt werden. Gestand der Täter, konnte er außerdem der Hölle entkommen“.

Am Hohen Markt Nr. 5 befand sich 1311-1839 das Stadt- und Landesgericht Wien.
Am Hohen Markt Nr. 5 befand sich 1311-1839 das Stadt- und Landesgericht Wien.(c) Christopher Dickie
Das Haus mit Schranne auf einer Abbildung 1707.
Das Haus mit Schranne auf einer Abbildung 1707.Wien Museum

Ab 1311 war das Wiener Stadt- und Landesgericht am Hohen Markt Epizentrum dieser öffentlichen Rechtssprechung – und der geheimen Rechtsfindung zuvor: Als wichtigster Beweis galt das Geständnis, ohne es durfte nicht bestraft werden. Um die Wahrheit ans Licht zu bringen – und darauf aufbauend die Ordnung wiederherstellen zu können – wurde daher nach Bedarf und Vorschrift gefoltert. „Widerrief einer dann vor der Hinrichtung trotzdem, musste diese abgebrochen und das ,Beweisverfahren' samt Folter erneut begonnen werden“, erzählt Bramberger.

»Die öffentliche Exekution sollte das Volk beruhigen und zeigen, dass die Obrigkeit die kosmische Ordnung wieder herstellen konnte.«

Leonie Bramberger

1438 kam die Schranne ans Haus: eine Freitreppe mit Podest, auf der Urteile verlesen und zum Teil auch vollstreckt wurden. Im Lauf der Jahrhunderte mehrmals abgebrannt, auf- und umgebaut, gehörten neben Amts- und Kerkerräumen auch die Kapelle „Zur Todesangst Christi“ sowie eine der ersten mechanischen Uhren Wiens mit der Inschrift „Diese Uhr schlägt keinem Glücklichen“ am Türmchen zum Ensemble. Komplettiert wurde es durch einen Pranger in der Nähe des heutigen Brunnens.

Am Hof wurde Vierteilen und Köpfen vollzogen (beispielsweise wurde hier 1463 Wolfgang Holzer hingerichtet).
Am Hof wurde Vierteilen und Köpfen vollzogen (beispielsweise wurde hier 1463 Wolfgang Holzer hingerichtet).(c) Christopher Dickie

Auch am Graben, Am Hof, auf der Freyung standen Pranger – und auch dort fanden Hinrichtungen statt. „Die Todesarten richteten sich nach der Art des Verbrechens, die Orte wiederum nach der Art der Exekution“, erklärt Bramberger. Am Hof war Vierteilen und Köpfen angesagt, am Lobkowitzplatz Erhängen. Im alten Rathaus an der Wipplinger Straße 8 fand 1671 Franz Graf Nadásdy sein „gottgewolltes“ Ende.
Verbrennungen fanden übrigens auf der Gänseweide im heutigen 3. Bezirk (Lände/Kriegergasse) statt, ertränkt wurde bei einstigen Brücken im 2. Bezirk am alten Tabor (Nähe Gaußplatz) und neuem Tabor (Marinelligasse/Alliiertenstraße).

Pranger statt Markttreiben

Die morbide Vergangenheit wirkt zwischen Markttreiben und lachenden Touristen besonders eigenartig. Auch auf der Freyung, wo vor der gepanzerten Tür des Schottenklosters ein junger Mann sitzt und gemütlich jausnet. Hier konnten Verbrecher damals um Kirchenasyl bitten – möglicherweise stammt der Name Freyung von dieser Art der „Befreiung“. Am 16. Juli 1683, zu Beginn der Türkenbelagerung, wurde hier jedenfalls der Galgen für die „Verräter" errichtet, nachdem am 14. Juli eine „große Feuersbrunst“ die Freyung heimgesucht hatte.

Vor der Schottenkirche auf der Freyung: Der Name stammt möglicherweile vom Kirchenasyl, das das Schottenkloster gewähren konnte.
Vor der Schottenkirche auf der Freyung: Der Name stammt möglicherweile vom Kirchenasyl, das das Schottenkloster gewähren konnte.(c) Christopher Dickie
Schottenring: Das ehemalige Glacis wurde vom Militär gerne für Übungen - und Erschießungen - genutzt. Die Mörder des Grafen Latour wurden 1849 auf dem Glacis vor dem Schottentor hingerichtet.
Schottenring: Das ehemalige Glacis wurde vom Militär gerne für Übungen - und Erschießungen - genutzt. Die Mörder des Grafen Latour wurden 1849 auf dem Glacis vor dem Schottentor hingerichtet.(c) Christopher Dickie

Der meist genutzte Galgen (bis 1747 und 1805 bis 1868) stand bekanntlich außerhalb der damaligen Stadt, in der Nähe der „Spinnerin am Kreuz“ in der Triester Straße. Dort, im Waschsalon des George Washington Hofes, finden auch die Aufführungen „Am Galgen“ der Gruppe „Das Planentenparty Prinzip“ statt. „Wir stellen die bereits Gehängten dar und unterhalten uns über die Situation“, verrät Bramberger. Zuvor spielte die Formation an ehemaligen Richtplätzen in der Steiermark. „Bei den Proben verliert man die Distanz zum Thema, bei der Aufführung kommt mit dem Publikum wieder die Gänsehaut“, erzählt Bramberger.

Rabenstein: Der Galgen beim Servitenviertel

1747 bis 1805 wurde der Galgen vom Wienerberg weg und am heutigen Schlickplatz als Rabenstein aufgestellt – ein gemauertes Rund mit Pranger, Galgen und Räderkreuz. Der Namen stammt angeblich von den Raben, die über der Stätte kreisten. Jedenfalls wollte Kaiserin Maria Theresia auf der Fahrt nach Laxenburg über den Wienerberg keine Gehängten mehr sehen.

Heute Blumenbeet, einst Richtstätte: Schlickplatz im 9. Bezirk.
Heute Blumenbeet, einst Richtstätte: Schlickplatz im 9. Bezirk.(c) Christopher Dickie
Der Rabenstein am heutigen Schlickplatz in einer Darstellung von 1786.
Der Rabenstein am heutigen Schlickplatz in einer Darstellung von 1786.Wien Museum

1805 hatten auch die Bewohner der Rossau - der Vorstadt, die heute zum 9. Bezirk gehört und heute durch das Servitenviertel bekannt ist - genug vom Hängen, Köpfen und Rädern vor ihrer Haustür. Der Galgen wurde daher wieder an den Wienerberg verlegt, wo die letzte öffentliche HInrichtung 1868 stattfand, die zu einem „widerlichen Spektakel“ geriet, wie historische Quellen zeigen. Bramberger: „Das magische Denken änderte sich mit der Aufklärung, die Idee der göttlichen Ordnung wurde brüchig."

Die Sinnhaftigkeit öffentlicher Hinrichtungen schwand, 1873 wurden sie verboten und in den  „Galgenhof“ des neuen Landesgerichtsgebäudes im 8. Bezirk verlegt. Dieses hatte ab 1839 das langgediente Gericht am Hohen Markt abgelöst. Heute findet sich im Durchgang vom Hohen Markt zur Landskrongasse noch ein Relief, das an die Vergangenheit des Orts erinnert. Sonst: nichts.

»Das magische Denken änderte sich mit der Aufklärung, 1873 wurden öffentliche Exekutionen verboten. «

Leonie Bramberger

Nur beim Schmausen am bekannten Würstelstand am Hohen Markt kann es passieren, dass einem zu später Stunde eine leichte Gänsehaut über den Rücken läuft, blickt man auf das Haus gegenüber, an dem die „göttliche“ Ordnung zahlreiche Leben nahm und vielen anderen Seelenheil versprach. Über Gott(es Gerichte) und die Welt kann man nach so einem kleinen Memento-mori-Moment aber freilich noch trefflicher sinnieren - und diskutieren.

Die Route vom Hohen Markt 5, vorbei am alten Rathaus, Am Hof, Freyung und Schottenring bis zum Ort des ehemaligen Rabensteins, dem Schlickplatz.
Die Route vom Hohen Markt 5, vorbei am alten Rathaus, Am Hof, Freyung und Schottenring bis zum Ort des ehemaligen Rabensteins, dem Schlickplatz.Petra Leopoldine 'Winkler

Infos und Tipp

Das Gericht am Hohen Markt in Wien 1 war zentraler Ort der bürgerlichen Rechtssprechung, exekutiert wurde per Galgen/Schwert/Rad direkt in der Stadt, am Wienerberg (10. Bezirk) oder am Rabenstein (9. Bezirk).
Wohnungen (Bestand) kosten heute im 1. Bezirk 13.889 Euro/m2 im Median.

Das Militär hatte - wie der Klerus und die Universität - ihre eigene Gerichtsbarkeit. Auf der Erdberger Lände befand sich im 18. Jahrhundert ein Hinrichtungsplatz für Militärpersonen, auch auf dem Getreidemarkt und auf dem Glacis vor dem Schottentor wurden standrechtliche Erschießungen durchgeführt. Dort wurden etwa die Mörder des Grafen Latour 1849 hingerichtet.

Leonie Bramberger ist in Wien als Künstlerin tätig.

Tipp: „Am Galgen“, 8.-11. Mai George-Washington Hof, am 11. Mai Podiumsdiskussion mit Uni-Prof Martin Scheutz www.wuk.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Grätzlspaziergang

Wien 5: Die Kleeblätter von Margareten

Mit Designerin und Quilt-Workshopleiterin Ege Kökel auf der Suche nach „neuer“ Vintage, alter Symbolik, sonniger Kulinarik und grünen Plätzchen in Maragareten.
Kai Krösche (links) und Victoria Halper im Innenhof des WUK (Werkstätten- und Kulturhaus).
Grätzltour

Alsergrund: Im Viertel der Gegensätze

Mit den „Heimweh“-Regisseuren Victoria Halper und Kai Krösche durch den 9. Bezirk zwischen alter WU, ehemaliger „Kinderübernahmestelle“, besonderen Lokalen und dem eingerüsteten WUK.
Weigel vor dem Café Einfahrt am Karmelitermarkt.
Grätzeltour

Was die Leopoldstadt erzählt

Mit Schauspieler und Regisseur Ernst Kurt Weigel durch den zweiten Bezirks zwischen Karmelitermarkt und Donaukanal.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.