Analyse

Das „Kalifat“ des IS zerfällt

Das Rückzugsgefecht der Jihadisten. Rauch steigt nach den letzten Kämpfen rund um die ehemalige IS-Bastion Tal Afar im Nordirak auf.
Das Rückzugsgefecht der Jihadisten. Rauch steigt nach den letzten Kämpfen rund um die ehemalige IS-Bastion Tal Afar im Nordirak auf. (c) APA/AFP/AHMAD AL-RUBAYE
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Nach den Niederlagen im Irak verlieren die Extremisten des Islamischen Staates auch in Syrien weiter an Boden. Die IS-Kader versuchen abzutauchen.

Das syrische Regime feierte am Montag die Siegesmeldung aus dem Osten des Landes: Syrische Truppen stießen demnach auf Deir ez-Zor vor, um die Belagerung der Stadt durch die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) zu beenden. Drei Jahre lang hielten die Jihadisten das gesamte Umland und auch einige Bezirke der Stadt besetzt. Der Flughafen von Deir ez-Zor, die Kaserne der 137. Brigade der syrischen Armee und der Großteil der Stadt stehen unter der Kontrolle des Regimes. In dieser vom IS bedrohten Enklave leben nach UN-Angaben 93.000 Menschen. Sie wurden bisher über eine Luftbrücke versorgt. Das UN-Welternährungsprogramm begann im Februar 2016 damit, Nahrungsmittel über der umzingelten Stadt abzuwerfen. Zudem brachten vor allem Flugzeuge der mit Syriens Regierung verbündeten russischen Streitkräfte Nachschub nach Deir ez-Zor.

Mit dem jetzigen Vorstoß der Regimetruppen auf die Stadt erleidet der IS einen weiteren Rückschlag in einer ganzen Serie militärischer Niederlagen. Ende 2014 herrschten die Extremisten noch über große Teile Nord- und Ostsyriens und weite Gebiete des Irak. Nun ist dieses eigenmächtig ausgerufene „Kalifat“ weitgehend zerfallen.

Vorstoß in die Altstadt Raqqas

Raqqa, die politische Hauptstadt des IS im Norden Syriens, wird derzeit von den Truppen der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) eingenommen. Bei den SDF kämpfen die Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden und arabische Milizen. Mit militärischer Unterstützung der USA sind sie bereits in die Altstadt Raqqas vorgedrungen. Es scheint nur mehr eine Frage der Zeit, bis der IS auch aus dem Rest seiner einstigen Hochburg vertrieben ist.

Raqqa war die erste große Stadt, in der die Jihadisten die Macht übernahmen. Im Sommer 2013 verdrängte der IS, der sich damals noch Islamischer Staat im Irak und Shams (Großsyrien) nannte, alle anderen Rebellenfraktionen aus Raqqa. Das Regime in Damaskus sah der Ausbreitung des IS anfangs zu, denn die Jihadisten wandten sich in ihrem Drang nach Macht zunächst vor allem gegen andere Aufständische. 2014 setzte sich der IS im Nachbarland Irak an die Spitze eines Aufstands unzufriedener sunnitscher Stämme und Exanhänger des 2003 gestürzten Diktators Saddam Hussein. Im Juni 2014 übernahm der IS die nordirakische Millionenstadt Mossul, die zum wichtigsten Zentrum seines „Kalifats“ wurde.

Fast genau drei Jahre später, im Juli 2017, beendeten Iraks Armee und schiitsche Milizen mit US-Luftunterstützung die IS-Herrschaft in Mossul. Im Westteil der Stadt richteten die Gefechte schwere Zerstörungen an.
Vor wenigen Tagen meldete die irakische Regierung auch die Rückeroberung der Stadt Tal Afar westlich von Mossul. Damit hat der IS im Irak nur noch die Gegend rund um die Stadt Hawija, etwas südwestlich von Kirkuk, und kaum bewohnte Gebiete an der Grenze zu Syrien unter seiner Kontrolle. Diese zum Teil wüstenhafte Gegend, die sich auch weit nach Syrien hinein erstreckt, dürfte zum letzten Rückzugsgebiet der IS-Kämpfer werden – dann, wenn die Extremisten bei Deir ez-Zor weiter zurückgedrängt werden und auch noch die letzten von ihnen kontrollierten Städte entlang des Flusses Euphrat verlieren.

Rückzug in den Untergrund

Militärisch ist der IS in Syrien und im Irak weitgehend am Ende. Sein pseudostaatliches Gebilde, über das er lang geherrscht hat, löst sich auf. Jetzt bricht die Phase an, in der seine verbliebenen Kader versuchen werden, erneut in den Untergrund abzutauchen – in abgelegene Dörfer oder in die Anonymität größerer Städte. Von dort werden sie ihren Kampf mit Terroranschlägen fortsetzen und warten, ob die ungelösten Probleme Syriens und des Irak erneut eine Chance zum politischen Aufstieg bieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2017)

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